Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragspsychotherapeut. Vergütung probatorischer Sitzungen. angemessene Höhe der Vergütung für zeitgebundene und genehmigungspflichtige Leistungen. Begrenzung der Punktwertstützung. Verfassungsmäßigkeit. Mindestpunktwert von 2,56 Cent. Bildung des arithmetischen Mittelwerts. Rücknahme von Honorarbescheiden. schutzwürdiges Vertrauen des Vertragsarztes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Fehler eines Verwaltungsaktes, deren isolierte Korrektur gemäß § 45 SGB X ausgeschlossen ist, können gleichwohl im Rahmen des Zugunstenverfahrens (§ 44 SGB X) berichtigt werden.

2. Probatorische Leistungen müssen mir einem arithmetisch gemittelten Punktwert von mindestens 2,56 Ct vergütet werden. Die Bildung eines nach den Leistungsanteilen im Primär- und Ersatzkassenbereich gewichteten Mittelwerts ist nicht zulässig.

 

Orientierungssatz

1. Die gesetzlichen Vorgaben in § 85 Abs 4 S 4 und Abs 4a S 1 Halbs 2 SGB 5 in der Fassung vom 22.12.1999 zwingen die Kassenärztliche Vereinigung nicht dazu, probatorische Sitzungen ebenso zu vergüten wie die Leistungen der sog großen Psychotherapie.

2. Der Bewertungsausschuss ist grundsätzlich befugt, inhaltliche Vorgaben für die angemessene Honorierung psychotherapeutischer Leistungen auch für diejenigen Leistungen festzulegen, die nur zeitgebunden und nicht genehmigungsbedürftig sind.

3. Es ist dem Bewertungsausschuss aber nicht verwehrt, sich darauf zu beschränken, eine Punktwertstützung nur für diejenigen Leistungen vorzugeben, die sowohl zeitgebunden als auch genehmigungsbedürftig sind. Eine solche Eingrenzung hält sich im Rahmen der ihm zustehenden Gestaltungsfreiheit.

4. Die Begrenzung der Punktwertstützung auf die sowohl zeitgebundenen als auch genehmigungsbedürftigen Leistungen und die Ausgrenzung derjenigen, die wie die probatorischen Sitzungen nur zeitgebunden, nicht aber genehmigungsbedürftig sind, verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG.

5. Die für eine sachgerechte psychotherapeutische Versorgung in der einzelnen Praxis notwendige Mindestzahl an probatorischen Sitzungen muss so honoriert werden, dass - erforderlichenfalls nach Anwendung von Mengenbegrenzungsregelungen oder Ähnlichem - jedenfalls die Hälfte des ursprünglich zur Kalkulation herangezogenen Punktwerts von 10 Pf (dh 5,0 Pf bzw 2,56 Cent) für solche Leistungen nicht unterschritten wird (vgl BSG vom 28.5.2008 - B 6 KA 49/07 R). Insoweit ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, in die die idR unterschiedlich hohen Punktewerte des Primär- und des Ersatzkassenbereichs einfließen. Nur wenn deren arithmetischer Mittelwert den Mindestpunktwert von 2,56 Cent erreicht, entspricht die Vergütung probatorischer Sitzungen den gesetzlichen Vorgaben (vgl BSG vom 28.5.2008 - B 6 KA 49/07 R aaO).

6. Im Umfang der vorgenommenen Korrekturen bedeutet die sachlich-rechnerische Richtigstellung eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids. Die genannten Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 S 1 SGB 1 in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 SGB 10 verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Rücknahme des Honorarbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs 1 S 1 SGB 10 eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (vgl BSG vom 28.8.2013 - B 6 KA 50/12 R = SozR 4-2500 § 106a Nr 12).

7. Zur Frage, in welchen Konstellationen das Vertrauen des Vertragsarztes auf den Bestand eines rechtswidrigen, ihn begünstigenden Verwaltungsaktes schutzwürdig ist (vgl BSG vom 28.8 2013 - B 6 KA 50/12 R aaO).

8. Führte eine sachlich-rechnerische Richtigstellung nicht zu einem Eingriff in einen bestandskräftigen Verwaltungsakt, sondern erfolgte im Rahmen eines Zugunstenbescheids nach § 44 Abs 2 SGB 10, und hatte dies zur Folge, dass die sich aus der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ergebende Überzahlung nicht zu einer Minderung des bis dahin bewilligten Quartalshonorars, sondern lediglich zu einer Verringerung des Nachvergütungsbetrags führte, so liegt darin keine Umgehung der Vertrauensschutzregelungen von § 45 SGB 10 bzw der Beschränkungen der einer Kassenärztlichen Vereinigung zustehenden Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung.

9. Die Kassenärztliche Vereinigung durfte nicht zeitgebundene genehmigungsbedürftige psychotherapeutische Leistungen einer Mengenbegrenzung in Form eines Individualbudgets unterwerfen und hierbei an die Umsätze im Jahr 2002 anknüpfen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.03.2015; Aktenzeichen B 6 KA 22/14 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. November 2010 geändert.

Die Bescheide der Beklagten vom 19. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. April 2006 werden aufgehoben.

Der Honorarbescheid vom 22. September 2003 (Quartal I/03) in der Gestalt des Bescheids vom 8. September 2005, des Widerspruchsbescheids vom 25. April 2006 und des Bescheids vom 16. Dezember 2009 wird geändert. Die Beklagte ...

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