Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Pflegeversicherung: Voraussetzung der Zuerkennung einer Pflegestufe bei einem an Diabetis Mellitus erkrankten Kind. krankheitsbedingter Mehraufwand zur Blutzuckerkontrolle als Grundpflege. Begleitung bei sportlichen Aktivitäten als Mobilitätshilfe
Orientierungssatz
1. Im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung sind solche Maßnahmen, die der Beschaffung und Zubereitung der für die Diät eines an Diabetis erkrankten Kindes benötigten Lebensmittel einschließlich der Blutzuckerkontrolle dienen, nicht der Grundpflege zuzuordnen. Das gilt auch für das Spritzen von Insulin.
2. Auch bei Kindern kommt es für die Beurteilung einer Pflegestufe darauf an, ob ein krankheitsspezifischer erhöhter Grundpflegebedarf besteht. Dazu ist allein auf den das altersübliche Maß übersteigenden Aufwand abzustellen.
3. Das Begleiten eines an Diabetis leidenden Kindes zu regelmäßigen sportlichen Aktivitäten stellt keine Hilfe bei der Mobilität im Sinne des Pflegeversicherungsrechts dar.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2007 betreffend den Zeitraum vom 1. März 2004 bis zum 31. August 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten vorliegend über die Gewährung von Pflegegeld der Pflegestufe I für den Zeitraum von März 2004 bis August 2006.
Der im Januar 2001 geborene Kläger, der an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I leidet, beantragte im März 2004 bei der Beklagten Pflegegeld. Diese holte das MDK-Gutachten der Pflegefachkraft G vom 23. Juni 2004 ein, die eine erhebliche Pflegebedürftigkeit verneinte: Der tägliche Hilfebedarf in der Grundpflege betrage 165 Minuten, von denen 150 Minuten für den Hilfebedarf eines gleichaltrigen gesunden Kindes abzuziehen seien. Der Zeitbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung umfasse 45 Minuten. Dem Gutachten folgend lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 28. Juni 2006 ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte auf Grundlage der gutachterlichen Stellungnahme der Ärztin Kaiser (MDK) vom 11. August 2004 mit Widerspruchsbescheid vom 1. November 2004 zurückwies.
Mit seiner vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger Pflegeleistungen der Pflegestufe I ab Antragstellung begehrt. Das Sozialgericht hat das Gutachten der Kinderärztin und Diabetologin Dr. K vom 26. September 2005 eingeholt, die einen täglichen Zeitaufwand für die Pflege und Betreuung des Klägers gegenüber einem gesunden Kind dieser Altersgruppe von 160 Minuten ermittelt hat. Gestützt auf die gutachterliche Stellungnahme der Ärztin Dr. N (MDK) vom 21. Dezember 2006 hat die Beklagte eingewandt, ein Mehrbedarf des Klägers im Umfang von mehr als 45 Minuten bei der Grundpflege sei nicht dokumentiert.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. September 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, dass der Kläger nicht erheblich pflegebedürftig sei. Es sei nicht zu beanstanden, dass von dem durch die Pflegefachkraft G im MDK-Gutachten vom 23. Juni 2004 ermittelten täglichen Hilfebedarf in der Grundpflege von 165 Minuten der Hilfebedarf eines gesunden gleichaltrigen Kindes von pauschal 150 Minuten abgezogen werde. Ob die Begutachtungsrichtlinien (BRi) vom 21. März 1997 in der Fassung vom 22. August 2001, die einen Abzug von 150 Minuten vorsähen, oder in der Fassung vom 11. Mai 2006, nach denen 138 Minuten abzuziehen seien, herangezogen würden, sei unerheblich, da auch bei dem geringeren Abzug der Hilfebedarf des Klägers in der Grundpflege nicht die erforderlichen 45 Minuten erreiche. Für den Zeitraum nach der Gutachtenerstellung im Juni 2004 sei davon auszugehen, dass durch das Älterwerden des Klägers dessen Gesamthilfebedarf abgenommen habe.
Der tägliche Mehrbedarf in der Grundpflege sei für das Nachputzen der Zähne (zweimal pro Tag) mit insgesamt 2 Minuten und für das Beaufsichtigen des Händewaschens (sechsmal pro Tag) mit insgesamt 6 Minuten anzusetzen. Die Hautpflege (das Eincremen der Fingerkuppen und der Spritzstellen) sei keine Verrichtung der Grundpflege, sondern der Behandlungspflege. Beim Verlassen bzw. Wiederaufsuchen der Wohnung sei nur derjenige Hilfebedarf zu berücksichtigen, der unmittelbar für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause notwendig sei. Hierzu gehören Arztbesuche, wenn sie wenigstens einmal pro Woche anfielen. Es sei nicht ersichtlich, dass dies im Falle des Klägers zutreffe. Eine ständige Begleitung, etwa zu sportlichen Aktivitäten, sei nicht unmittelbar für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause notwendig. Der krankheitsbedingte zusätzliche Betreuungsaufwand sei keine Verrichtung der Grundpflege. Dies gelte auch für die übrigen Maßnahmen wie Blutzuckermessungen, Urinwertmessungen, Tagebucheintragungen, Insulininjektionen und portionsgerechte Bemessung und Zuteilung einer Diätnahrung.
Gegen diese Entschei...