Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. mitarbeitender Gesellschafter. Prokurist mit Sperrminorität in der Gesellschafterversammlung. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein Prokurist mit Sperrminorität in der Gesellschafterversammlung ist nicht bereits deswegen selbständig, weil der Gesellschaftsvertrag die Ausübung der Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung übertragen hat.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. September 2019 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht der versicherungsrechtliche Status des Klägers im Rahmen seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) seit dem 11. April 2016.
Der 1993 geborene Kläger ist seit der am 21. August 2014 erfolgten Errichtung der Beigeladenen zu 1) deren Gesellschafter. An dem Kapital von 25.000,- € hält er einen Anteil von 6.250,- € (25 vom Hundert), weiterer Gesellschafter ist sein Vater, der einen Geschäftsanteil von 18.750,- € (75 vom Hundert) hält und zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestimmt wurde. Nach der ursprünglichen Fassung des Gesellschaftsvertrags wurden Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, je ein Euro eines Geschäftsanteils gewährte eine Stimme.
Am 17. Dezember 2015 wurde der Gesellschaftsvertrag dahingehend geändert, dass Gesellschafterbeschlüsse grundsätzlich einstimmig gefasst werden. Weiter wurde dem Kläger Einzelprokura zur Vertretung der Beigeladenen zu 1) erteilt, der Kläger und die Beigeladene zu 1) schlossen einen Prokuristen-Vertrag. In diesem Vertrag war u.a. vorgesehen, dass die Befugnis des Prokuristen alle Maßnahmen umfasst, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb der Gesellschaft mit sich bringt. Für darüber hinaus-gehende Maßnahmen wurde eine vorherige Zustimmung durch Gesellschafterbeschluss verabredet. Über Ort und Inhalt seiner Tätigkeit sowie Dauer und Lage seiner Erholungszeiten sollte der Kläger selbst entscheiden. Für seine Tätigkeit wurde eine Vergütung von brutto 32.400,- € jährlich vereinbart, die in zwölf Monatsraten zu zahlen war. Für die Fälle der Krankheit, der unverschuldeten Dienstverhinderung und des Todes war eine Fortzahlung der Bezüge vorgesehen.
Am 11. April 2016 änderten die Gesellschafter der Beigeladenen zu 1) den Gesellschaftsvertrag dahingehend, dass die Gesellschafterversammlung nur beschlussfähig sein sollte, wenn das gesamte Stammkapital vertreten war. Weiter wurden die Vorgaben für Gesellschafterbeschlüsse durch folgende Klausel ergänzt:
Abschluss, Änderung, Beendigung von Verträgen mit - auch mittelbaren - Gesellschaftern bzw. die Ausübung und Wahrnehmung daraus resultierender Rechte und Pflichten, insbesondere etwaiger Weisungsrechte, obliegen der Gesellschafterversammlung; betroffene Gesellschafter bleiben stimmberechtigt. Die Personalaufsicht und Leitung ist insoweit von den Geschäftsführern auf die Gesellschafterversammlung übertragen.
Schließlich wurde der Kläger von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit.
Am 10. Mai 2016 stellte der Kläger einen Statusfeststellungsantrag mit dem Ziel festzustellen, dass er nicht abhängig beschäftigt sei und nicht der Sozialversicherungspflicht unterliege. Er verwies auf seine Vereinbarungen mit der Beigeladenen zu 1), nach denen er selbst über seine Tätigkeit in allen Belangen entscheide und eine Änderung seiner Befugnisse bzw. weiterer vertraglicher Bestandteile ausschließlich mit seiner Zustimmung möglich sei.
Nach Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 12. August 2016 gegenüber dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) fest, dass der Kläger seine Tätigkeit als mitarbeitender Gesellschafter (Prokurist) seit dem 11. April 2016 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung bestehe. Für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spreche, dass ein gesonderter Prokuristen-Vertrag die Mitarbeit in der Gesellschaft regle, der arbeitsvertraglich typisch Regelungen über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei Arbeitsunfähigkeit und über eine Kündigung enthalte, dass für die Tätigkeit eine feste Vergütung in Höhe von 2.700,- € im Monat gezahlt werde und der Kläger kraft seines Anteils am Stammkapital keinen maßgebenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausüben könne. Für eine selbständige Tätigkeit spreche dagegen, dass der Kläger mit 25 % am Stammkapital der Beigeladenen zu 1) beteiligt sei, er keine Weisungen von seinem Auftraggeber erhalte und aufgrund der vom Geschäftserfolg abhängigen Tantiemenzahlung indirekt am Gewinn der Gesellschaft beteiligt sei. Die für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechenden Merkmale überwögen. Als Minderheitsgesellschafter könne der Kläger keinen maßgeblichen Einfluss auf die Beigeladene zu 1) nehmen. Bei mitarbeitenden Gesellschaftern ohne...