Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Schwerstbeschädigtenzulage für die Vergangenheit. Versäumung der Antragsfrist. unverschuldete Verhinderung. schwere Krankheit. Möglichkeit der Beauftragung eines Bevollmächtigten. Verjährung. Hemmung. höhere Gewalt. Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit
Orientierungssatz
1. Im Rahmen der Prüfung, ob der Beschädigte nach § 60 Abs 2 S 1 Halbs 2 BVG ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Antragstellung gehindert war, schließt Krankheit ein Verschulden nur aus, wenn der Betroffene so schwer erkrankt ist, dass er nicht selbst handeln und auch nicht einen anderen beauftragen kann (vgl BSG vom 25.2.1992 - 9a BVg 10/91).
2. Eine schwere Krankheit (hier Schlaganfall mit anschließender Lähmung) begründet erst dann "höhere Gewalt" im Sinne des Verjährungsrechts, wenn dem Berechtigten infolge seines Zustands die Besorgung seiner Angelegenheiten schlechthin unmöglich wird (vgl BGH vom 13.11.1962 - VI ZR 228/60 = VersR 1963, 93).
3. Zur Gewährung einer Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe V gemäß § 31 Abs 5 S 1 BVG in der Fassung vom 22.1.1982 sowie zur hierzu erforderlichen Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Nachgehend
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 14. Februar 2007 in der Fassung des Zusatzbescheides vom 16. März 2007 wird geändert. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin nach dem Verstorbenen S L für die Zeit vom 1. Januar 1982 bis zum 31. Mai 1987 Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe V statt nach Stufe III nebst Zinsen in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes seit dem 3. August 1993 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin und dem vom 5. Mai 1998 bis zum 29. August 2006 Beigeladenen deren außergerichtliche Kosten für das gesamte Verfahren einschließlich der Revisions- und Beschwerdeverfahren vor dem Bundessozialgericht zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch über die nachträgliche Gewährung von Geldleistungen der Beschädigtenversorgung.
Die Klägerin ist die Tochter des 1901 geborenen und 1987 verstorbenen S L (Beschädigter). Dieser erhielt auf seinen im Oktober 1956 gestellten Antrag mit Bescheid des Versorgungsamtes Köln vom 8. Januar 1957 nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen eines "Nährstoffmangelschadens nach langjähriger Inhaftierung" Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v. H. Durch Bescheid vom 14. April 1959 stellte das Versorgungsamt fest, dass die durch die Schädigungsfolge "Herzmuskelschaden" bedingte MdE nunmehr 30 v.H. betrage. Ein nach einem Herzinfarkt gestellter Rentenerhöhungsantrag des Beschädigten wurde durch Bescheid vom 24. März 1961 mit der Maßgabe abgelehnt, dass die Schädigungsfolge als "Herzmuskelschaden nach Dystrophie" neu bezeichnet wurde. Mit Schreiben vom 18. Oktober 1984 teilte die Ehefrau des Beschädigten in dessen Auftrag dem Versorgungsamt Köln mit, dass dieser aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, den Schriftverkehr selbst zu führen; im November zögen sie nach Berlin. Daraufhin wurden die Versorgungsakten vom Beklagten übernommen.
Am 4. März 1986 beantragte die Klägerin für den Beschädigten beim Bezirksamt Charlottenburg von Berlin Hilflosenpflegegeld nach dem Berliner Gesetz über die Gewährung von Leistungen an Zivilblinde, Gehörlose und Hilflose (ZGHG), das diesem nach ärztlicher Begutachtung gewährt wurde. Im März 1986 errichteten die Eheleute ein gemeinsames notarielles Testament. Im Juni 1986 erteilte der Beschädigte der Klägerin die notarielle Vollmacht, ihn in allen vermögens- und personenrechtlichen Angelegenheiten vor Behörden und Privatpersonen zu vertreten. Mit Bescheid vom 24. November 1986 stellte der Beklagte im Schwerbehindertenverfahren den Grad der Behinderung (GdB) mit 100 fest; es lägen die Merkmale B, aG, H und RF vor. Nach dem Tode des Beschädigten beantragte seine Witwe am 7. Dezember 1987 formlos "Leistungen irgendwelcher Art aufgrund der … Rente des Verstorbenen". Die daraufhin gestellten Formularanträge auf Leistungen an Hinterbliebene hatten nur teilweise Erfolg.
Während des anschließenden Klageverfahrens machte die Witwe mit Schreiben vom 4. Oktober 1990 an den Beklagten geltend, dass schon der Erstbescheid vom 8. Januar 1957 und die daran anschließenden Folgebescheide im Hinblick auf eine fehlende Anerkennung einer damals festgestellten Arteriosklerose fehlerhaft seien. Am 3. August 1993 hat sie weiterhin Klage erhoben auf höhere Leistungen der Beschädigtenversorgung unter Aufhebung des Bescheides vom 24. März 1961. Dieses Verfahren ist mit dem bereits anhängigen verbunden worden. Unter dem 5. August 1993 trat die Witwe des Beschädigten ihre Versorgungsansprüche an ihren Enkel und Prozessbevollmächtigten ab. Im Oktober 1993 hat sie im Rahmen ihrer Klage auch di...