Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Gemeinsamer Bundesausschuss. Beschluss über die Erstfassung der Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern. Verfassungsmäßigkeit. überragende Gemeinwohlbelange. Belegkrankenhaus
Leitsatz (amtlich)
1. Es dient überragenden Gemeinwohlbelangen, die Notfallversorgung in Krankenhäusern zu strukturieren und in ihrer Qualität zu sichern.
2. Der Beschluss des GBA über die Erstfassung der Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern gemäß § 136c Abs 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (juris: NotfStrKHRgl) vom 19.4.2018 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
3. Belegkrankenhäuser haben keinen Anspruch auf eine Sonderrolle im "System der Notfallstrukturen in Krankenhäusern"; sie werden durch den Beschluss des GBA vom 19.4.2018 nicht willkürlich gleichbehandelt.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin und der beklagte Gemeinsame Bundesausschuss (GBA, im Folgenden: der Beklagte) streiten darüber, ob der Beschluss des Beklagten über die Erstfassung der Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern gemäß § 136c Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vom 19. April 2018 (bekannt gemacht im Bundesanzeiger vom 18. Mai 2018, BAnz AT 18. Mai 2018 B4) wirksam ist.
Die Klägerin betreibt seit ein familiengeführtes Fachkrankenhaus für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (HNO) in der Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung als private Klinik. Das Krankenhaus arbeitet ausschließlich nach dem „Belegarzt-Prinzip“ mit zehn Belegärzten/-innen aus dem Raum Kiel und ist seit in den Räumen des städtischen Krankenhauses K angesiedelt („Krankenhaus im Krankenhaus“). Während das städtische Krankenhaus seinen Schwerpunkt u.a. im Bereich der Notfall- und Unfallversorgung hat, bedient die K F der Klägerin das Leistungsspektrum der HNO-Medizin. Sie verfügt dazu nach eigenen Angaben über 30 Betten und zwei Operationssäle, in denen die Belegärzte-/innen jährlich ca. 1.300 Patient-/innen stationär und ca. 700 Patient-/innen ambulant behandeln. Die ab dem Kalenderjahr 2019 von der Klägerin anvisierte Zahl der Operationen beträgt 1.500 „oder mehr“.
Der Gesetzgeber ermächtigte und verpflichtete den Beklagten in Art. 6 Nr. 15 des Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz, KHSG) vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I, S. 2229 [2249]) durch Einführung des § 136c Abs. 4 SGB V, ein gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern einschließlich einer Stufe für die Nichtteilnahme an der Notfallversorgung zu beschließen:
(4) 1Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt bis zum 31. Dezember 2017 ein gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern, einschließlich einer Stufe für die Nichtteilnahme an der Notfallversorgung. 2Hierbei sind für jede Stufe der Notfallversorgung insbesondere Mindestvorgaben zur Art und Anzahl von Fachabteilungen, zur Anzahl und Qualifikation des vorzuhaltenden Fachpersonals sowie zum zeitlichen Umfang der Bereitstellung von Notfallleistungen differenziert festzulegen. 3Der Gemeinsame Bundesausschuss berücksichtigt bei diesen Festlegungen planungsrelevante Qualitätsindikatoren nach Absatz 1 Satz 1, soweit diese für die Notfallversorgung von Bedeutung sind. 4Den betroffenen medizinischen Fachgesellschaften ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 5Die Stellungnahmen sind bei der Beschlussfassung zu berücksichtigen.
Durch Art. 5 Nr. 7 lit. b, bb des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) vom 19. Dezember 2016, BGBl. I S. 2986 [2995], verpflichtete der Gesetzgeber den Beklagten zusätzlich, vor Beschlussfassung eine Folgenabschätzung durchzuführen und deren Ergebnisse zu berücksichtigen:
6Der Gemeinsame Bundesausschuss führt vor Beschlussfassung eine Folgenabschätzung durch und berücksichtigt deren Ergebnisse.
Getragen war die Einführung des § 136c Abs. 4 SGB V von folgenden Erwägungen des Gesetzgebers (BT-Drs. 18/5372, S. 91f.):
Durch die Regelung in Satz 1 erhält der G-BA den Auftrag, ein Stufensystem der Teilnahme an der Notfallversorgung festzulegen. Die Entwicklung eines solchen Stufensystems der Teilnahme an der Notfallversorgung soll strukturelle Voraussetzungen definieren, z.B. zur Vorhaltung der Art und Anzahl bestimmter Abteilungen, zur Anzahl von Intensivbetten und vorhandener medizintechnischer Ausstattung sowie zur Anzahl und Qualifikation des vorzuhaltenden Personals. Zudem ist zu berücksichtigen, ob eine Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft an allen Tagen besteht. Die Stufen können auch Differenzierungen nach Indikationsbereichen vorsehen. Die unterste Stufe ist unter Berücksichtigung der Vorgaben für die beim Sicherstellungszuschlag für die Versorgung notwendigen Leistungen der Notfallversorgung festzulegen. Die höchste Stufe ist z.B. für eine umfassende Notfall...