Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen "H". Entziehung. maßgeblicher Prüfzeitpunkt. täglicher Hilfebedarf. Grundpflege. geistige Anregung und Kommunikation. Asperger-Syndrom. Lebensphase vor Abschluss der ersten Berufsausbildung. Schwerbehindertenrecht: Zuerkennung des Merkmals “H„ für Hilflosigkeit bei einem Asperger Syndrom

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hilflosigkeit im Sinn des Schwerbehindertenrechts liegt i.d.R. nur vor, wenn ein täglicher Hilfebedarf für mindestens drei Verrichtungen und für mindestens zwei Stunden vorliegt.

2. Wenn das Klageziel mit der (völligen oder teilweisen) Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts erreicht werden kann, ist die reine Anfechtungsklage die richtige Klageart.

 

Normenkette

SGB IX § 69 Abs. 4; EStG § 33b Abs. 3 S. 3, Abs. 6 Sätze 1-3; SchwbAwV § 3 Abs. 1; SGB XI §§ 14-15; BVG § 35; SGG § 54 Abs. 1 S. 1; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 27. Oktober 2009 geändert und der Bescheid des Beklagten vom 13. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Oktober 2002 in der Fassung der Teilanerkenntnisse vom 13. Juli 2009, 27. Oktober 2009 sowie vom 23. Juni 2011 insoweit aufgehoben, als damit festgestellt worden ist, dass beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" ab 17. August 2001 nicht mehr vorliegen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung des Merkzeichens “H„ (Hilflosigkeit).

Der Kläger ist 1982 geboren. Jedenfalls seit April 1998 ist ihm die Pflegestufe I nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zuerkannt. Nach Abschluss der 10. Klasse der O Förderschule für Körperbehinderte besuchte der Kläger ab September 2000 das E Gymnasium in P. Dazu bewilligte ihm Der Oberbürgermeister der P - Jugendamt - mit Bescheid vom 07. Juli 2000 Hilfe zur Erziehung nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) in Form intensiver sozialpädagogischer Einzelbetreuung in Form von Einzelfallhilfe (45 Stunden monatlich) und Betreuung für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts (40 Stunden). Mit Bescheid vom 20. Juli 2000 erkannte das Staatliche Schulamt für die Stadt P bei dem Kläger einen “sonderpädagogischen Förderbedarf im Sinne eines autistischen Syndroms„ an, worauf Der Oberbürgermeister der P - Schulverwaltungsamt - dem Kläger mit Bescheid vom 30. August 2000 Hilfe zur Schulbildung für das Schuljahr 2000/2001 im Umfang von drei Stunden pro Schultag bewilligte. Im Jahr 2003 schloss der Kläger den Schulbesuch mit dem Abitur ab. Im Anschluss daran durchlief er mit Erfolg eine Ausbildung zum Bürokaufmann. 2007 fand er eine befristete Anstellung als “Ground Segment Operator„ bei der R.

Nachdem bei dem Kläger während eines stationären Aufenthaltes im Universitätsklinikum C - - in der Zeit vom 13. Februar 1997 bis zum 07. November 1997 u. a. die Diagnose einer hebephrenen Schizophrenie gestellt worden war (Epikrise vom 05. November 1997), stellte der Beklagte bei dem Kläger mit Bescheid vom 02. April 1998 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen “H„ für den Zeitraum ab Antragstellung am 11. November 1997 fest. Ende 1998 leitete der Beklagte von Amts wegen ein Nachprüfungsverfahren ein und holte eine ärztliche Auskunft der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie H vom 19. Februar 1999 ein, in der diese ausführte: Die Verlaufsform der kindlichen Psychose sei - in Korrektur zur bisherigen Diagnose einer hebephrenen Schizophrenie - als katatone Form einer Schizophrenie einzuschätzen. Unter neuroleptischer Einstellung auf Risperdal und Durchführung von flankierenden Maßnahmen des Jugendamtes mit Einzelfallhelfer am Nachmittag habe der Kläger Erfolge bei der Bewältigung schulischer Anforderungen. Die Bewältigung alltäglicher Anforderungen wie körperhygienischer Verrichtungen, Nahrungsaufnahme, Schulweg und Teilnahme am öffentlichen Leben sei gehemmt durch Zwangsmechanismen und -rituale sowie allgemeine Ängstlichkeit, sodass der Kläger der Führung und Kontrolle sowie der Begleitung durch die Eltern und den Einzelfallhelfer bedürfe. Festzustellen seien weiterhin eine körperliche Fehlhaltung durch eine fixierte Kyphose der Wirbelsäule, manirierte Bewegungsabläufe, eine wechselnde Tic-Symptomatik und unter psychischem Druck ein Opsoklonus. Mit Schreiben vom 20. Juli 1999 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nicht eingetreten sei.

Im Hinblick auf den bevorstehenden Eintritt der Volljährigkeit des Klägers leitete der Beklagte im September 2000 erneut ein Nachprüfungsverfahren ein. Die Ärztin H führte in ihrer vom Beklagten erbetenen weiteren ärztlichen Auskunft vom 20. Oktober 2000 aus: Derzeit bestehe eine prognostisch günstige Verlaufsform einer katatonen Psychose mit Beginn im Vorschulalter. Es beste...

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