Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Entziehung des Merkzeichens "H"
Orientierungssatz
1. Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "H" hat derjenige mit einem GdB von 80 anerkannte Schwerbehinderte, der so hilflos ist, dass er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf.
2. Die tatbestandlich vorausgesetzte Reihe von Verpflichtungen kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen. Maßgeblich ist in erster Linie der tägliche Zeitaufwand für die erforderlichen Betreuungsleistungen. Typisierend ist Hilflosigkeit erst dann anzunehmen, wenn der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen mindestens zwei Stunden erreicht; dies entspricht dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe 2 der Pflegeversicherung.
3. Liegt eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen i. S. einer Besserung vor, so ist das Merkzeichen gemäß § 48 Abs. 1 SGB 10 zu entziehen. Ein entsprechender Nachweis kann beispielsweise durch die Aufnahme einer Beschäftigung, durch den Umzug in eine eigene Wohnung oder in dem gutachterlich bewiesenen notwendigen Umfang der Grundpflege von nunmehr täglich 60 Minuten geführt werden.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil bleibt hiervon unberührt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung des Merkzeichens “H„ (Hilflosigkeit).
Zugunsten des 1985 geborenen Klägers hatte der Beklagte mit Bescheid vom 17. September 1992 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 wegen geistiger und körperlicher Entwicklungsverzögerung und Verhaltensstörungen sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen “B„(Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson), “G„ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und “H„ festgestellt. Den Feststellungen lag insbesondere ein Gutachten der Fachärztin für Kinderheilkunde S vom 7. Juli 1992 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zugrunde.
In den folgenden Jahren wurde der Kläger auf Veranlassung des Bezirksamts im Verfahren nach dem Landespflegegeldgesetz mehrfach nachbegutachtet. In den Gutachten vom 7. September 1994, 26. März 1997, 30. März 1999, 21. März 2001, 12. Mai 2003 und 25. Juli 2005 wurde Hilflosigkeit bei dem Kläger jeweils bestätigt. In dem Gutachten der Ärztin Dr. B vom 6. Juli 2007 wurde Hilflosigkeit verneint, weil der Kläger im Vergleich zum Vorgutachten an Reife und Eigenverantwortlichkeit gewonnen habe. Er sei bei den personenbezogenen alltäglichen Verrichtungen wie zum Beispiel Kleiderwechsel und Körperpflege selbständiger geworden und bedürfe insgesamt nicht mehr einer dauerhaft vermehrten Aufsicht, Kontrolle und Impulsgabe. Der Kläger sei zweifelsfrei auch weiterhin hilfebedürftig und auf spezielle Förderung angewiesen, eine Hilflosigkeit im Sinne des Gesetzes liege jedoch nicht mehr vor.
Nach Kenntnisnahme von dem Gutachten hörte der Beklagte mit Schreiben vom 13. November 2007 den Kläger über seine Absicht an, die Merkzeichen “B„, “G„ und “H„ abzuerkennen. Die Mutter und Betreuerin des Klägers äußerte sich hierzu mit Schreiben vom 6. Dezember 2007, dem sie ein Gutachten der Ärztin und Familientherapeutin F vom 17. November 2007 für das Amtsgericht beifügte, in dem die Ärztin die Notwendigkeit einer weiteren Betreuung bejahte. Nach Eingang einer gutachtlichen Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. T vom 13. Januar 2008 hob der Beklagte mit Bescheid vom 7. Februar 2008 bei Bestätigung des GdB von 80 sinngemäß den Bescheid vom 17. September 1992 mit Wirkung für die Zukunft insoweit auf, als mit diesem Bescheid die gesundheitlichen Voraussetzungen für die genannten Merkzeichen festgestellt worden waren. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem er unter anderem ein Attest des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. K vom 13. Mai 2008 überreichte. Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme von Dr. L vom 19. September 2008 wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 21. November 2008 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 8. Dezember 2008 Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von Dr. K vom 2. Juni 2009 eingeholt und Unterlagen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V., insbesondere ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI der Pflegefachkraft A vom 17. November 2008, beigezogen. Der Beklagte hat hierzu eine kinder- und jugendpsychiatrische Stellungnahme vom 1. Juli 2009 übermittelt, in der eine interne kinder- und jugendpsychiatrische Begutacht...