Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem LSG. sechsmonatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit. keine instanzübergreifende Konsumtion von Vorbereitungs- und Bedenkzeiten. keine Entschädigung von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren steht dem Landessozialgericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von in der Regel sechs Monaten zu (Fortführung der Rechtsprechung des Senats LSG Berlin-Potsdam vom 25.2.2016 - L 37 SF 128/14 EK AL - juris RdNr 59).

2. Eine instanzübergreifende Konsumtion von Vorbereitungs- und Bedenkzeiten (hier in Form der Aufzehrung der dem Landessozialgericht zugewiesenen Vorbereitungs- und Bedenkzeiten durch das Sozialgericht) findet nicht statt.

3. Für die erstmalige vorprozessuale Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens gegenüber dem haftungspflichtigen Land ist die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe in der Regel nicht erforderlich und gehören die durch die gleichwohl erfolgte Beauftragung eines Rechtsanwalts entstandenen Aufwendungen dementsprechend nicht zu den notwendigen Rechtsverfolgungskosten (Fortführung der Rechtsprechung des Senats LSG Berlin-Potsdam vom 9.6.2021 - L 37 SF 271/19 EK AS = NJ 2021, 519 = juris RdNr 61 ff).

 

Orientierungssatz

1. Das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren stellt entschädigungsrechtlich einen abtrennbaren Teil eines über mehrere Instanzen geführten Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs 6 Nr 1 GVG dar (vgl BSG vom 27.3.2020 - B 10 ÜG 4/19 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 19).

2. Das vorprozessuale Begehren eines Anspruchs auf Entschädigung für ein überlanges sozialgerichtliches Verfahren gegenüber dem haftungspflichtigen Land kann mit der Bitte um Weiterleitung an die zuständige Stelle formlos an das Ausgangsgericht gerichtet werden (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 9.6.2021 - L 37 SF 271/19 EK AS aaO).

 

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin wegen unangemessener Dauer des vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen L 31 AS 1011/18 NZB geführten Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens eine Entschädigung in Höhe von 800,- € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.09.2021 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Entschädigung wegen unangemessener Dauer des vor dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen (Az.) L 31 AS 1011/18 NZB geführten Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens.

In dem Ausgangsverfahren begehrte die Klägerin vom Jobcenter Landeshauptstadt Potsdam (im Folgenden: JC) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum von August 2013 bis Januar 2014 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von monatlich 76,40 € (August bis Dezember 2013) bzw. 78,20 € (Januar 2014). Außerdem verlangte sie - für denselben Zeitraum - die Erstattung von Kosten in Höhe von insgesamt 53,10 €, die ihr durch die Auszahlung der SGB II-Leistungen mittels Schecks entstanden waren.

Zwischen den Beteiligten des Ausgangsverfahrens waren diverse weitere Rechtsstreitigkeiten anhängig, u. a. stand in einem Berufungsverfahren vor dem LSG Berlin-Brandenburg ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung im Zeitraum von Februar 2014 bis Januar 2015 im Streit (Az.: L 1 AS 1010/18, ursprünglich: L 31 AS 1010/18; Vorinstanz: Sozialgericht Potsdam, Az.: S 49 AS 869/16). In einem weiteren Verfahren wurde um einen Mehrbedarf im Zeitraum von Februar bis Juni 2015 gestritten (Az.: S 49 AS 531/16, mit anschließendem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unter dem Az. L 31 AS 1009/18 NZB).

Dem hiesigen Ausgangsverfahren lag im Einzelnen folgender Sachverhalt zugrunde:

09.04.2015

Eingang der Klageschrift - ohne Klagebegründung - nebst Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) - ohne Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - sowie Antrag auf Akteneinsicht beim Sozialgericht (SG) Potsdam

04.05.2015

· Registrierung der Klage unter dem Az. S 21 AS 707/15

· Eingangsbestätigung nebst Aufforderung zur Klagebegründung binnen 4 Wochen nach Akteneinsicht

· Weiterleitung der Klageschrift an JC „vorab zur Kenntnis“

· Übersendung von Band III der Verwaltungsakten an JC mit der Bitte um Aktualisierung ab Blatt 455 binnen 4 Wochen

· Interne Wiedervorlage (Wv): 6 Wochen

06.05.2015

Abgabe des Verfahrens an die 47. Kammer gemäß Präsidiumsbeschluss 02/2015; neues Az.: S 47 AS 707/15

13.05.2015

Eingang der (weitgehend unausgefüllten) Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin

10.07.2015

Eingang der vom JC übersandten Verwaltungsakten (Band I und III)

13.07.2015

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