Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterngeld. Erkrankung des Elterngeldberechtigten während der Partnerschaftsmonate. Arbeitszeitkorridor. Mindestarbeitszeit. Elterngeldanspruch auch für Zeiten vorübergehender Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlung. Wille des Gesetzgebers. keine Anwendung der Regelungen der BEEG-Richtlinien. Verfassungsrecht. Gleichheit. Diskriminierung wegen einer Behinderung. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
Die für den Anspruch auf Elterngeld Plus (Partnerschaftsbonus) erforderliche Erwerbstätigkeit eines Elternteils - § 4 Abs 4 S 3 BEEG in der bis zum 31.8.2021 geltenden Fassung, § 4b Abs 1 BEEG in der seit dem 1.9.2021 geltenden Fassung - entfällt nicht bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, auch wenn kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung mehr besteht.
Orientierungssatz
1. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch umfasst der Begriff "erwerbstätig" auch Personen, die nur vorübergehend an der ansonsten ausgeübten beruflichen Tätigkeit aufgrund einer Erkrankung gehindert sind (Anschluss an LSG Celle-Bremen vom 20.6.2022 - L 2 EG 5/22).
2. Auch eine verfassungskonforme Auslegung spricht für eine Auslegung der elternrechtlichen Vorgaben in diesem Sinne.
3. Der gegenteiligen Auslegung der Norm, wie sie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in den von ihm herausgegebenen Richtlinien zum BEEG (Stand 09/21 S 208 f, zur heutigen Vorschrift des § 4b BEEG) zum Ausdruck bringt, kann nicht gefolgt werden. Denn diese führt zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen bei den betroffenen Eltern, je nachdem, ob und in welchem Umfang sie einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben oder nicht (zB Beamte, Selbstständige).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 3. Juli 2020 geändert.
Der Beklagte wird unter Änderung des an den Kläger gerichteten Bescheids vom 19. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2019 verpflichtet, das dem Kläger für den Zeitraum vom 19. Dezember 2017 bis 18. April 2018 (Lebensmonate 18 bis 21) vorläufig bewilligte Elterngeld in Höhe von 150.- € je Lebensmonat des Kindes endgültig festzusetzen.
Der Beklagte trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die endgültige Festsetzung seines Elterngeldanspruchs und die daraus resultierende Rückforderung erhaltener Leistungen.
Der Kläger beantragte am 5. August 2016 ebenso wie seine Ehefrau aufgrund der Geburt des gemeinsamen Sohnes am 19. Juli 2016 die Gewährung von Elterngeld nach dem Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG). Die Ehefrau des Klägers beantragte für die Lebensmonate (im Folgenden: LM) 1 bis 7 Basiselterngeld, für die LM 8 bis 17 Elterngeld Plus mit einer prognostizierten Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 20 Stunden in der Woche und für die Monate 18 bis 21 den Partnerschaftsbonus mit einer prognostizierten Teilzeitbeschäftigung von 30 Stunden in der Woche. Der Kläger beantragte Basiselterngeld für die LM 2 und 3 sowie den Partnerschaftsbonus für die Lebensmonate 18 bis 21 ebenfalls mit einer prognostizierten Teilzeitbeschäftigung von 30 Stunden in der Woche. Die Ehefrau des Klägers fügte dem Antrag eine Elternzeitbestätigung ihres Arbeitgebers bei, wonach sie ab dem 19. Februar 2017 20 Stunden in der Woche Teilzeit arbeiten werde, sowie vom 19. Dezember 2017 bis 18. Juli 2018 30 Stunden in der Woche. Der Arbeitgeber des Klägers bestätigte dessen Elternzeit im Zeitraum vom 1. August 2016 bis 30. September 2016 sowie die Reduzierung der Arbeitszeit auf 25 Wochenstunden im Zeitraum vom 19. Dezember 2017 bis 18. April 201. Beide Antragstellende erzielten vor der Geburt des Kindes Einkommen aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit. Die Ehefrau des Klägers hatte ein Bruttoeinkommen in Höhe von 6.155,- € im Juni 2015, in Höhe von 4.155,- € in den Monaten Juli bis Oktober 2015 sowie in den Monaten Dezember 2015 bis Mai 2016 und 9.264,- € im November 2015. Der Kläger hatte in den Monaten Juni 2015 bis Mai 2016 ein Bruttoeinkommen in Höhe von 1.541,29 € im Monat. Die Ehefrau des Klägers bezog im Zeitraum vom 6. Juni 2016 bis 13. September 2016 Mutterschaftsgeld in Höhe von 13,00 € kalendertäglich von der Krankenkasse sowie einen Zuschuss ihres Arbeitgebers in Höhe von 67,62 € kalendertäglich.
Mit Bescheid vom 8. August 2016 in der Fassung des Bescheides vom 17. August 2018 gewährte der Beklagte der Ehefrau des Klägers für die LM 1 bis 7 Basiselterngeld in Höhe von 0,- € im LM 1, in Höhe von 249,70 € im LM 2 sowie in Höhe von 1.548,14 € monatlich für die LM 3 bis 7. Für den sich anschließenden Zeitraum vom LM 8 bis LM 21 bewilligte der Beklagte ihr Elterngeld Plus in Höhe von 606,83 € monatlich. Auf Seite zwei der Bescheide nahm der Beklagte unter anderem den Hinweis auf, dass die Bestimmung des durchschnittlichen Erwerbseinkommens nach der Geburt eine Prognose darstelle. Das Elterngeld werde daher nach § 8 Abs. 3 BEEG unter ...