Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Versagung eines Darlehens wegen unabweisbaren Bedarfs. Eigenanteil an den Kosten einer künstlichen Befruchtung. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Die Kosten in Höhe des Eigenanteils für eine künstliche Befruchtung (§ 27a SGB 5) stellen keinen vom Regelbedarf umfassten Bedarf iS des § 24 Abs 1 S 1, § 20 Abs 1 SGB 2 dar.
2. Darüber hinaus fehlt es an der Unabweisbarkeit des Bedarfs iS von § 24 Abs 1 S 1 SGB 2, soweit die Entstehung der Kosten vorhersehbar ist und zumutbare Ansparmöglichkeiten bestehen.
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. September 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren vom Beklagten die darlehensweise Übernahme der Kosten einer künstlichen Befruchtung.
Unter dem 7. September 2012 bewilligte die damals zuständige Krankenkasse den Klägern wegen einer tubaren Sterilität der Frau (geb. 1978) und einer Hypoteratozoospermie des Mannes (geb. 1984) eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion. Genehmigt wurden drei Zyklen, wobei die Kosten pro Zyklusfall mit 4 051,72 Euro für die Frau und 78,17 Euro für den Mann angegeben wurden. Es wurde darauf hingewiesen, dass nach § 27 a Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) 50 % der entstehenden Kosten als Eigenanteil zu bedienen seien.
Unter dem 13. September 2012 beantragten die Kläger beim Beklagten die Übernahme des Eigenanteils als unabweisbaren Bedarf im Sinne von § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II).
Mit Bescheid vom 17. September 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2012 blieb dem Antrag der Erfolg versagt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Kläger nach einem Umzug nach B seit Oktober 2012 Leistungen nach dem SGB II bezögen, davor habe das Jobcenter A Leistungen nach dem SGB II bewilligt. Die von den Klägern beantragte Sonderleistung sei durch die gewährte Regelleistung abgedeckt und stelle nach den vorliegenden Unterlagen keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts dar. Ein unabweisbarer Bedarf liege dann vor, wenn ein Ansparen aus den Regelleistungen unmöglich sei. Dies treffe dann zu, wenn der Bedarf kurz nach dem Eintritt der Bedürftigkeit bzw. der Bewilligung von Arbeitslosengeld entstehe oder gleichzeitig mehrere unabweisbare Bedarfe zu decken seien. Ein Bedarf sei dann nicht unabweisbar, wenn er nicht aufschiebbar, daher zur Vermeidung einer akuten Notsituation unvermeidlich sei und daher nicht erwartet werden könne, dass die Leistungsberechtigten diesen Bedarf mit den nächsten Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs ausgleichen könnten. Mögliche Kosten einer künstlichen Befruchtung seien jedoch vorhersehbar, so dass eine entsprechende Planung möglich sei.
Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Kläger geltend gemacht haben, dass sie die Krankenkasse gewechselt hätten und nun Mitglied einer “Kinderwunschkasse„ seien, die 75 % der Kosten übernehme, hat das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 14. September 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II lägen nicht vor. Denn bei den begehrten Kosten für eine künstliche Befruchtung handele es sich zur Überzeugung der Kammer nicht um einen vom Regelbedarf umfassten Bedarf. Nach der genannten Vorschrift erbringe die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis ein Darlehen, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden könne. Kosten für eine künstliche Befruchtung seien schon nicht vom Regelbedarf umfasst, denn dieser umfasse nach § 20 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehöre zwar auch in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Hiervon seien die Kosten für eine künstliche Befruchtung aber nicht umfasst, denn es seien nicht gleiche Teilhaberechte wie für Nichtleistungsbezieher zu gewährleisten. Teilhaberechte seien vielmehr an einen “vertretbaren Umfang„ geknüpft. Die Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung gehörten in Anbetracht der Kosten für eine Behandlung von über 4 000,00 Euro pro Zyklus (und einem Eigenanteil von über 1 000,00 bis 2 000,00 Euro) nicht mehr zu einem vertretbaren Umfang.
Darüber hinaus bestehe keine Unabweisbarkeit des geltend gemachten Bedarfes. Unabweisbar könne im Sinne des Grundsicherungsrechtes wegen der Subsidiarität dieses Leistungssystems ein medizinischer Bedarf grundsätzlich nur dann sein, wenn nicht die gesetzliche Krankenversicherung oder Dritte zur Bedarfsdeckung verpflichtet seien. Würden Aufwendungen für eine medizinisch notwendige Behandlung a...