Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Änderung der AMRL. Verletzung des Stellungnahmerechts eines Dachverbandes der Ärztegesellschaften der besonderen Therapieeinrichtungen nach § 92 Abs 3a SGB 5. Unterschied der Stellungnahmeberechtigung zu verfahrensbezogenen Mitwirkungsrechten. Umfang der Bekanntmachung der tragenden Gründen iSv § 94 Abs 2 S 1 SGB 5
Leitsatz (amtlich)
1. Es erscheint fraglich, ob ein nach § 92 Abs 3a SGB 5 bei Änderung der AM-RL (juris: AMRL) stellungnahmeberechtigter Dachverband der Ärztegesellschaften der besonderen Therapierichtungen die (vermeintliche) Verletzung seines Stellungnahmerechts gerichtlich geltend machen kann.
2. Es bestehen maßgebliche rechtliche Unterschiede zwischen der Stellungnahmeberechtigung eines Dachverbandes der Ärztegesellschaften der besonderen Therapierichtungen nach § 92 Abs 3a SGB 5 einerseits und den subjektive Rechte vermittelnden verfahrensbezogenen Mitwirkungsrechten etwa des Patientenvertreters oder der Trägerorganisationen des GBA andererseits.
Orientierungssatz
Die Bekanntmachung der tragenden Gründe iSv § 94 Abs 2 S 1 SGB 5 erfordert schon nach dem begrifflichen Gehalt von "tragend" weder die Angabe aller Unterlagen, Erwägungen und Gründe noch eine umfassende, vollumfängliche Begründung mit allen wissenschaftlichen Belegen in Bezug auf alle vorgetragenen Argumente noch gar eine darüber hinausgehende Auseinandersetzung mit allen weiteren denkmöglichen Argumenten und Problemkonstellationen (vgl BSG vom 17.9.2013 - B 1 KR 54/12 R = BSGE 114, 217 = SozR 4-2500 § 35 Nr 7 RdNr 23).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Beschluss des Beklagten vom 19. April 2012 zur Bekanntgabe der Änderung von § 12 Abs. 6 der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) und rügt die Verletzung ihres Stellungnahmerechts.
Der Kläger ist eine ärztlich-wissenschaftliche Fachgesellschaft auf dem Gebiet der anthroposophischen Medizin und stellungnahmeberechtigter Dachverband der Ärztegesellschaften der besonderen Therapierichtungen im Sinne von § 92 Abs. 3a Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V).
OTC-Präparate (over the counter = über den Tresen verkäuflich) wurden durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190) mit Wirkung vom 1. Januar 2004 grundsätzlich von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen. Die Verordnung dieser Arzneimittel ist nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur ausnahmsweise zulässig. § 34 Abs. 1 Satz 1 bis 3 SGB V lautete in der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung:
1Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen. 2Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 erstmals bis zum 31. März 2004 fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. 3Dabei ist der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen.
Auf dieser Grundlage enthielt die AM-RL in der Fassung vom 31. August 1993, zuletzt geändert auf der Grundlage eines Beschlusses des Beklagten vom 16. März 2004 mit Wirkung vom 15. Juni 2004, in Abschnitt F. Regelungen über “Gesetzliche Verordnungsausschlüsse bei der Arzneimittelversorgung und zugelassene Ausnahmen„. Unter Nummer 16.4 waren in 41 Unterpunkten “schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung„ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V aufgelistet. Abschnitt F. hatte auszugsweise folgenden Wortlaut:
F. Gesetzliche Verordnungsausschlüsse bei der Arzneimittelversorgung und zugelassene Ausnahmen
16. Apothekenpflichtige nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V
16.1 Apothekenpflichtige nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Die Verordnung dieser Arzneimittel ist nach § 34 Abs. 1 Satz 2 ausnahmsweise zulässig, wenn die Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten.
16.2 Eine Krankheit ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt.
16.3 Ein Arzneimittel gilt als Therapiestandard, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.
16.4 Schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung sind:
(…)
16.4.27 Mistel-Präparate, parenteral, auf Mistellektin standardisiert, nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität.
(…)
16.5 Für die in diesen Richtlinien im Abschnitt F aufgeführten Indikationsgebiete kann der Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arznei...