Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. freiwillige Mitgliedschaft. Beitrittsrecht einer nicht erwerbsfähigen ehemaligen Sozialhilfeempfängerin (nach dem BSHG). Rechtsauslegung. Gesetzesbegründung
Orientierungssatz
1. Die Gesetzesbegründung zu Nr 8 des § 9 Abs 1 S 1 SGB 5 (Bundestags-Drucksache 15/1749 S. 36) stützt den im Gesetzestext mit den Worten "in der Vergangenheit" noch hinreichend zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, ausschließlich erwerbsfähigen ehemaligen Sozialhilfeempfängern ein Beitrittsrecht zur Krankenversicherung zu eröffnen.
2. Nicht erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger werden von dieser Gesetzesbegründung hingegen nicht angesprochen, auch wenn in der Gesetzesbegründung im Weiteren lediglich von "Beziehern von Sozialhilfe" die Rede ist. Hierbei darf nämlich nicht der Anlass außer Betracht bleiben, der den Gesetzgeber bewegt hat, § 9 Abs 1 S 1 Nr 8 SGB 5 zu schaffen. Anlass und zugleich Regelungsgegenstand war ein Anliegen des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages. Der Petitionsausschuss hatte sich zwar mit einem ehemaligen Bezieher von Sozialhilfe zu befassen. Dieser ehemalige Sozialhilfeempfänger war jedoch erwerbsfähig, denn er hatte sich zwischenzeitlich durch eine selbstständige Tätigkeit eine eigene Lebensgrundlage geschaffen und konnte aufgrund dessen im Unterschied zu allen anderen ehemaligen erwerbsfähigen oder nicht erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern keinerlei Krankenversicherungsschutz aus einem sozialen Sicherungssystem erlangen.
3. Auch ein über den 31.12.2004 hinausgehender fortgesetzter Bezug von vergleichbaren Leistungen (Leistungen der Grundsicherung) nach anderen Vorschriften als dem BSHG beseitigt das Beitrittsrecht zur gesetzlichen Krankenversicherung nach § 9 Abs 1 S 1 Nr 8 SGB 5 nicht.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 07. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie ab 01. Januar 2005 freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten ist.
Die im Mai 1917 geborene Klägerin kam am 05. Juni 2002 aus der nach Deutschland. Seither bezog sie Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 11 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und war nie gesetzlich oder privat krankenversichert. Ihre Krankenbehandlung wird ab 01. Januar 2004 von der Beklagten nach § 264 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) übernommen. Seit 01. Januar 2005 erhält die Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter nach § 41 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Mit Schreiben an die Beklagte vom 12. November 2004 legte das Bezirksamt Mitte von Berlin einen Antrag der Klägerin vor, sie ab 01. Januar 2005 als freiwilliges Mitglied aufzunehmen und teilte mit, dass die Krankenversicherungsbeiträge von ihm gezahlt würden.
Mit Bescheid vom 17. Januar 2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf freiwillige Mitgliedschaft ab. Die Klägerin gehöre nicht zum beitrittsberechtigten Personenkreis des § 9 Abs. 1 Nr. 8 SGB V, da sie über den 01. Januar 2005 hinaus Leistungen der Grundsicherung erhalte.
Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, es sei nicht relevant, ob sie Grundsicherung oder Sozialhilfe beziehe, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2005 zurück: Das Beitrittsrecht stehe nur solchen Personen zu, die keinerlei Krankenversicherungsschutz hätten.
Dagegen hat die Klägerin am 20. April 2005 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben und ihr Begehren weiter verfolgt.
Nach entsprechender Anhörung hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 07. Juli 2005 die Klage abgewiesen: Voraussetzung für das Beitrittsrecht sei, dass über den 31. Dezember 2004 hinaus keine den Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem BSHG vergleichbare Leistungen bezogen würden, denn ansonsten seien die Worte "in der Vergangenheit" in § 9 Abs. 1 Nr. 8 SGB V überflüssig. Eine solche Auslegung entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers. Dessen Absicht sei es nämlich gewesen, eine Gleichstellung derjenigen ehemaligen Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt, die die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nicht erfüllten, mit denjenigen Personen herbeizuführen, die aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld II Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung würden "und diese Mitgliedschaft in der Regel bei Aufnahme einer versicherungsfreien Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit fortsetzen könnten" (Hinweis auf Bundestags-Drucksache 15/1749 S. 36).
Gegen diesen, ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten am 18. Juli 2005 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 09. August 2005 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie vorträgt:
Ausgehend vom Wortlaut des Gesetzes seien die Voraussetzungen erfüllt. Die erstinstanzlich vorgenommene Interpretation des gese...