Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Gemeinsamer Bundesausschuss. Normkonkretisierung. Arzneimittel. Zweckmäßigkeit. Nutzen. eingeschränkte gerichtliche Kontrolle. Arzneimittel-Richtlinie. arzneimittelrechtliche Zulassung. Feststellung iS von § 92 Abs 2 S 12 SGB 5
Leitsatz (amtlich)
1. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat einen verfassungsrechtlich begründeten Auftrag zur Normkonkretisierung.
2. Voraussetzung für die Beurteilung der (Un-)Zweckmäßigkeit eines Arzneimittels ist stets eine vergleichende Nutzenbewertung.
3. Ein Arzneimittel ist unzweckmäßig iSv § 92 Abs 1 Satz 1 Teilsatz 4, Abs 2 Satz 12 SGB V, wenn die mit ihm verglichenen Arzneimittel oder Behandlungsalternativen einen therapierelevant höheren Nutzen haben.
4. Die für das Aufgabenprogramm des GBA zentralen Bewertungsgrößen "Zweckmäßigkeit", (medizinischer) "Nutzen" und "Wirtschaftlichkeit" stehen gesetzessystematisch innerhalb des SGB V in einem Regelungskontext, der sich grundlegend von der Zielsetzung des Arzneimittelgesetzes und den Aufgaben der darin vorgesehenen Zulassungsbehörden unterscheidet.
5. Der arzneimittel- und krankenversicherungsrechtliche Begriff der Wirksamkeit ist nicht identisch mit dem Nutzenbegriff des SGB V.
6. Auch in Anbetracht des Widerspruchsverbots nach § 92 Abs 2 Satz 12 SGB V sind dem GBA Therapievergleiche erlaubt, die entweder auf andere Endpunkte - insbesondere die in § 35b Abs 1 Satz 4 SGB V genannten patientenrelevanten Endpunkte - oder andere Dosierungen als die Zulassungsbehörde abstellen oder die medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlungsalternativen gegenüberstellen.
7. § 92 Abs 1 Satz 12 SGB V ordnet eine Feststellungswirkung an. Feststellungen im Sinne dieser Vorschrift können nur im Zulassungsbescheid oder - wenn dieser dem GBA nicht zugänglich gemacht wird - der Fachinformation nach § 11a AMG (juris: AMG 1976) enthalten sein. Sie müssen hinreichend bestimmt sein.
8. Der vom GBA vorgenommene Ausschluss der Wirkstoffkombination Dipyridamol und
Acetylsalicylsäure aus dem Leistungskatalog der GKV ist rechtmäßig.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen vom beklagten Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) beschlossenen Verordnungsausschluss des Wirkstoffs Dipyridamol in Kombination mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS).
Die Klägerin ist eine pharmazeutische Unternehmerin, der am 16. November 2001 - noch unter ihrer damaligen Firma B KG - durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Zulassung für das verschreibungspflichtige Arzneimittel Aggrenox erteilt wurde mit den arzneilich wirksamen Bestandteilen Dipyridamol (200 mg) und ASS (25 mg). Im August 2013 verlängerte das BfArM die Zulassung für Aggrenox. Beide arzneilich wirksamen Bestandteile bewirken auf unterschiedliche Weise die Hemmung der Thrombozytenaggregation. Die Zulassung erstreckt sich auf das Anwendungsgebiet “Sekundärprävention von ischämischen Schlaganfällen und transitorischen-ischämischen Attacken - TIA -„. Hierfür sind auch Arzneimittel mit ASS als einzigem Wirkstoff (Monopräparate) sowie mit dem Wirkstoff Clopidogrel zugelassen.
Nach den Angaben im o.g. Zulassungsbescheid wurde die klinische Wirksamkeit der Kombination von Dipyridamol und ASS in der European Stroke Prevention Study 2 (ESPS 2), einer multizentrischen, doppelblinden, placebo-kontrollierten Studie mit insgesamt 6000 Patienten, nachgewiesen. Untersucht worden sei “die relative Risikoreduktion bezüglich eines zweiten cerebro-vaskulären Ereignisses (Sekundärprävention)„. Als primäre Fragestellung sollte dabei untersucht werden, ob es über den Effekt der Einzelsubstanzen Dipyridamol und ASS hinaus einen additiven Effekt der Kombination beider Substanzen gebe und wie groß dieser Beitrag zur Sekundärprävention eines cerebro-vaskulären Ereignisses sei. Die primären Zielparameter seien tödlicher und nicht-tödlicher Schlaganfall, Gesamtmortalität sowie Schlaganfall und/oder Tod jeglicher Ursache gewesen. Darüber hinaus sei eine Reihe von Sekundärparametern untersucht worden, wie z.B. Myokardinfarkt, TIA. Das Design der Studie umfasste vier Gruppen: Placebo, ASS 25 mg, Dipyridamol 200 mg und Dipyridamol 200 mg + ASS 25 mg. Hinsichtlich der Sekundärprävention eines zweiten Schlaganfalles ergab sich eine (relative) Risikoreduktion gegenüber Placebo bei Dipyridamol von 16,5 %, bei ASS von 18 % sowie bei der Kombinationsgabe von 36,8 %. Zugleich ergab sich eine relative Risikoreduktion bei der Kombinationsgruppe im Vergleich zu den Monopräparaten von 24,4 % (gegenüber Dipyridamol) und 22,1 % (gegenüber ASS). An unerwünschten Begleiterscheinungen traten Blutungen in den beiden ASS einnehmenden Gruppen fast doppelt so häufig wie bei den beiden anderen, Kopfschmerzen und gastrointestinale Begleiterscheinungen hingegen in den beiden Dipyridamol-Gruppen stärker auf, vor allem jeweils im ersten Monat.
In der Fachinformation für Aggrenox st...