Orientierungssatz

Die Richtlinien nach § 53 Abs 3 SGB 5 idF vom 20.12.1988 sind für die Gerichte nicht bindend, aber als Gesetzeskonkretisierung zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen für die Gerichte beachtlich. Sie müssen lediglich mit dem Gesetz vereinbar und - gemessen an allgemeinen Erfahrungssätzen und generellen Tatsachen - sachlich vertretbar sein (vgl BSG vom 30.9.1993 - 4 RK 1/92 = SozR 3-2500 § 53 Nr 4). Das Gleiche kann auch für die von den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB 11 vorgegebenen Werte für Pflegezeiten für gesunde Kinder gelten.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 06.02.2006; Aktenzeichen B 3 P 26/05 B)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Leistungen der Pflegestufe II nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch – SGB XI –.

Der Kläger ist am ... 1992 geboren. Ihm wurden mit Bescheid vom 1. Februar 2000 Leistungen der Pflegestufe I seit 1. September 1999 gewährt. Diesem Bescheid lag ein Gutachten von der Ärztin K vom 12. Januar 2000 zugrunde. Darin hatte diese angenommen, dass der Grundpflegebedarf des Klägers den eines gleichaltrigen gesunden Kindes um 84 Minuten überschritte.

Am 6. Dezember 2000 beantragte er, ihm Leistungen nach einer höheren Pflegestufe zu gewähren. Dazu legte er einen Bericht der C vom 16. Februar 1999 vor.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung – MDK –, die am 14. Mai 2001 von der Pflegefachkraft G durchgeführt wurde. Sie stellte die Diagnose mentale Retardierung bei tuberöser Hirnsklerose, bekanntes Anfallsleiden (sekundär). Sie nahm folgenden Pflegebedarf an:

Körperpflege

Waschen

1x volle Übernahme

10'

5x Hände, Gesicht Anleitung

10'

Baden

1x volle Übernahme

15'

Zahnpflege

3x volle Übernahme

9'   

Kämmen

2x volle Übernahme

2'   

Blasenentleerung

6x Beaufsichtigung

18'

Darmentleerung

2x Beaufsichtigung

10'

Richten der Bekleidung

8x Teilübernahme

8'   

Ernährung

Mundgerechte Zubereitung

5x volle Übernahme

10'

Nahrungsaufnahme

5x Beaufsichtigung

16'

Mobilität

Aufstehen/Zu-Bett-Gehen

3x Unterstützung

An-/Auskleiden

2x Ganzkörper, 2x Teilkörper, Unterstützung, Teilübernahme

10'

Stehen

2x Unterstützung

2'   

Gehen

10x Teilübernahme

10'.

Von diesem Grundpflegebedarf (136 Minuten) setzte sie 60 Minuten als Hilfebedarf eines gleichaltrigen gesunden Kindes ab. Als hauswirtschaftlichen Mehrbedarf nahm sie 30 Minuten an. Es ergab sich damit ein um 106 Minuten täglich erhöhter Pflegebedarf gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind.

Darauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Mai 2001/Widerspruchbescheid vom 18. Februar 2002 die Gewährung höherer Leistungen ab.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben (eingegangen am 07.03.02) und vorgetragen, sein Entwicklungsstand entspreche etwa dem eines dreijährigen gesunden Kindes. Dazu hat er ein Attest des Kinderarztes Dr. K vom 8. April 2002 eingereicht.

Das Sozialgericht hat die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, das diese am 17. Januar 2003 erstellte. Darin stellt sie folgende Diagnosen:

psychische Retardierung bei angeborener Hirnmissbildung (tuberöse Hirnsklerose),

Anfallsleiden,

Blasenschwäche,

vermehrte Infektanfälligkeit,

angeborene Missbildungen der Nieren, des Herzens und der Haut,

Augenleiden.

Sie ermittelte folgenden Pflegebedarf:

Körperpflege

Waschen

morgens

10'

Duschen

1x   

15'

Zahnpflege

3x   

9'   

Kämmen

2x   

2'   

Darm-/Blasenentleerung

mehrfach täglich

30'

Ernährung

Mundgerechte Zubereitung

3 – 4x

10'

Nahrungsaufnahme

3 – 4x

16'

Mobilität

Aufstehen/Zu-Bett-Gehen

3 – 4x

8'   

An-/Auskleiden

Teilhilfen

10'

Verlassen/Wiederaufsuchen

2x wöchentlich

30'

der Wohnung

140'.

Die maximal berücksichtigungsfähige Zeit für die hauswirtschaftliche Versorgung von 30 Minuten werde überschritten. Insgesamt bestehe seit der Antragstellung ein Gesamtpflegebedarf von 170 Minuten.

Mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat sich auf das Gutachten von Dr. B gestützt und offen gelassen, ob die Angaben des Klägers über seine Arztbesuche zutreffend sind.

Gegen das dem Kläger am 12. August 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 9. September 2004 eingegangene Berufung. Der Kläger trägt vor, das Sozialgericht habe sich lediglich oberflächlich mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt. Es habe pauschal auf das MDK-Gutachten verwiesen, ohne dieses auf Schlüssigkeit und Übereinstimmung mit seinem Vorbringen zu seinem tatsächlichen Pflegebedarf zu prüfen. Die Schätzung des alterstypischen Bedarfs für ein gesundes gleichaltriges Kind sei trotz Kritik nicht belegt worden.

Er bedürfe der dauernden Beaufsichtigung, Anleitung und Hilfe bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens; dies gelte auch für die Teilverrichtungen beim Anziehen und Waschen, die er erkrankungsbedingt nicht zum Teil allein, sondern immer nur auf Anregung und Anleitung durchführen könne. Die Angabe, eine teilweise Übernahme bei den Verrichtungen der Körperpflege sei möglich und ...

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