Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht: Voraussetzung der Zuerkennung des Merkzeichens “G„
Orientierungssatz
1. Die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Merkzeichens „G” bei einem schwerbehinderten Menschen, die als Kriterien auch in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht aufgeführt sind, sind als Gewohnheitsrecht anerkannt und deshalb anwendbar (Anschluss LSG Essen, Urteil vom 16.12.2009, Az.: L 10 SB 39/09 ).
2. Einzelfall zur Zuerkennung des Merkzeichens „G” bei einem Schwerbehinderten (hier: bejaht).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 29. Januar 2013 aufgehoben sowie der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 16. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2010 verpflichtet, bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 20. April 2010 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “G„ festzustellen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Klageverfahrens zu 2/3 und des zweitinstanzlichen Verfahrens in vollen Umfang zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Auf den Antrag des 1950 geborenen Klägers setzte der Beklagte bei ihm nach Auswertung der ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen mit Bescheid vom 16. Juli 2009 einen Gesamt-GdB von 30 fest. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und begehrte mit Antrag vom 7. September 2009 ausdrücklich die Zuerkennung des Merkzeichens “G„. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2009 wies der Beklagte den Widerspruch und den Antrag zurück. Dem legte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
- Kniegelenkersatz links (Einzel-GdB von 30),
- Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB von 20),
- Bluthochdruck (Einzel-GdB von 10).
Mit seiner Klage bei dem Sozialgericht Cottbus hat der Kläger einen höheren GdB als 30 begehrt.
Den während des laufenden Klageverfahrens gestellten Änderungsantrag vom 20. April 2010, mit dem der Kläger einen höheren GdB und das Merkzeichen “G„ beantragt hat, hat der Beklagte mit Bescheid vom 16. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2010 abgelehnt. Auch hiergegen hat der Kläger Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat.
Mit Beschluss vom 28. Februar 2011 hat das Sozialgericht beide Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Der Beklagte hat mit - jeweils angenommenen - Teilanerkenntnissen vom 12. August 2010, 20. April 2011 und vom 2. Januar 2012 erklärt, bei dem Kläger einen GdB von 40 ab 1. August 2009 sowie einen GdB von 50 ab 23. März 2010 festzustellen.
Neben Befundberichten der behandelnden Ärzte hat das Sozialgericht das Gutachten des Sozialmediziners Dr. A vom 13. November 2012 eingeholt, der folgende Funktionsbeeinträchtigungen ermittelt hat:
- Kniegelenkersatz links mit anhaltender Reizkniebildung (Einzel-GdB von 40),
- Anfallsleiden nach zweimaligem Hirninsult (Einzel-GdB von 20),
- Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB von 20),
- hypertensive Herzerkrankung mit paroxysmalem Vorhofflimmern (Einzel-GdB von 20).
Der Sachverständige hat weiter dargelegt, dass bei dem Kläger eine wesentliche Gang- und Standunsicherheit durch Minderbelastung des linken Kniegelenks bestehe, so dass ihm ortsübliche Wegstrecken von 2000 m, die innerhalb von 30 Minuten zurückzulegen seien, nicht zugemutet werden könnten. Die Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk nach mehrfachen großen operativen Eingriffen sei einer Teilversteifung gleichzusetzen, die mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten sei.
Die nur noch hinsichtlich der Anerkennung des Merkzeichens “G„ fortgeführte Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 29. Januar 2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei dem Kläger lägen keine Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingten.
Der Beklagte hat mit Ausführungsbescheid vom 18. März 2013 bei dem Kläger einen Gesamt-GdB von 50 ab 23. März 2010 festgestellt.
Gegen die sozialgerichtliche Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, der sein Begehren weiterverfolgt. Während des Berufungsverfahrens hat er bei dem Beklagten am 6. Februar 2014 einen weiteren Verschlimmerungsantrag gestellt.
Der Senat hat die Stellungnahme des Sachverständigen Dr. A vom 26. März 2014 eingeholt, der ausgeführt hat, dass die Implantation, Explantation und Reimplantation der Knie-TEP bei Empyembildung mit einer Einbuße der Gang- und Standfähigkeit verbunden sei, die aufgrund ihrer orthostatischen Auswirkungen einer Teilversteifung in einer ungünstigen Stellung gleichzusetzen sei.
Die Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 29. Januar 2013 au...