Entscheidungsstichwort (Thema)
Entziehung der Zulassung; gröbliche Pflichtverletzung; maßgeblicher Prüfungszeitpunkt; Prüfpflichten der Behörde; Prüfpflichten des Gerichtes; Verwertungsverbot; Abrechnungsmanipulationen; "Phantompatienten"; Wohlverhalten. Vertragsärztliche Versorgung. Zulassungsentzug wegen gröblicher Pflichtverletzung. Falschabrechnung. Rückgriff auf Staatsanwaltsakten
Leitsatz (amtlich)
1. Einem Vetragsarzt ist die Zulassung ua zu entziehen, wenn er seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Eine Pflichtverletzung ist gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist auszugehen, wenn aufgrund der Pflichtverletzung das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und/oder in die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsverhaltens des Vertragsarztes so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann (ständige Rechtsprechung des BSG vgl zuletzt vom 19.07.2006 - B 6 KA 1/01 R = BSGE 89, 173 = SozR 3-2005 § 85 Nr 45
2. Zum Rückgriff auf Akten der Staatsanwaltschaft bei Falschabrechnungen durch einen Vertragsarzt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 2) - 7), die ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.
Der 1951 in B geborene Kläger wurde - nachdem er zunächst im Land B für einige Monate zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen worden war - zum 1. November 1995 als Arzt für Chirurgie im Land B zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Seit dem 29. Januar 1996 übt er seine vertragsärztliche Tätigkeit am zunächst in B/K, später B/C liegenden Vertragsarztsitz aus. Seit dem 1. Januar 1998 nimmt er ergänzend an den mit den Krankenkassen bzw. deren Verbänden geschlossenen Strukturverträgen zur Förderung krankenhausersetzender ambulanter Operationen teil.
Am 31. März 2000 leitete der Polizeipräsident in Berlin gegen den Kläger wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges ein Ermittlungsverfahren ein, in dessen Verlauf die für die Durchführung der polizeilichen Ermittlungen zuständige Ermittlungsgruppe am 30. Januar 2001 die Wohnungs- und Praxisräume des Klägers durchsuchte sowie zahlreiche Patientenunterlagen sicherstellte und die Festplatte des Praxiscomputers spiegelte. Des Weiteren vernahm die Ermittlungsgruppe in der Folgezeit mehrere bei dem Kläger beschäftigte bzw. beschäftigt gewesene Arzthelferinnen sowie zahlreiche in den Praxisunterlagen bzw. Computerdateien als Patienten aufgeführte Personen als Zeugen. Darüber hinaus holte sie schriftliche Zeugenerklärungen von zahlreichen in den Unterlagen und Computerdateien des Klägers als Patienten benannten Personen ein. Am 23./30. Mai 2003 fertigte die Ermittlungsgruppe ihren polizeilichen Schlussbericht, wonach der Kläger nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen dringend verdächtig sei, im Jahre 1998 zum Nachteil der Beigeladenen 1) Leistungen für 58 Phantompatienten sowie zahlreiche weitere tatsächlich nicht erbrachte Leistungen einschließlich bestimmter Versandleistungen abgerechnet zu haben. Diesen Schlussbericht übersandte die zuständige Staatsanwältin der Beigeladenen zu 1) sowie dem Zulassungsausschuss für Ärzte Berlin (Zulassungsausschuss) unter dem 7. Juli 2003 zur Kenntnisnahme. Der Zulassungsausschuss beschloss daraufhin in seiner Sitzung vom 1. September 2003, gegen den Kläger ein Zulassungsentziehungsverfahren einzuleiten, und gab dem Kläger diesen Beschluss unter dem 1. Oktober 2003 bekannt. In der Folgezeit gewährte der Zulassungsausschuss dem Kläger Akteneinsicht in den ihm bisher nicht bekannten polizeilichen Schlussbericht und gab ihm Gelegenheit, zu den darin erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Der Kläger trug daraufhin vor: Der Zulassungsausschuss dürfe den polizeilichen Schlussbericht bei seiner Entscheidung nicht verwerten, weil ihm dieser unter Verstoß gegen die §§ 13 ff. des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) in Verbindung mit den Bestimmungen der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) übermittelt worden sei. Darüber hinaus dürfe der Zulassungsausschuss den Schlussbericht auch sonst nicht zur Grundlage der Zulassungsentziehung machen, weil dies gegen die gesetzlich garantierte Unschuldsvermutung verstoße. Davon abgesehen sei der Schlussbericht auch in der Sache falsch, wie eine exemplarische Darstellung anhand von zehn Fällen belege, in denen sich die erhobenen Vorwürfe als haltlos erwiesen.
Mit seinem Beschluss vom 20. Januar 2004 entzog der Zulassungsausschuss dem Kläger die Zulassung zur vertr...