Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Nachweis offener Entgeltansprüche zur Gewährung von höherem Insolvenzgeld. Beweislast. Arbeitsstunden. Stundenzettel
Orientierungssatz
1. Für die Gewährung von Insolvenzgeld nach § 183 Abs. 1 S. 1 SGB 3 a.F. ist u. a. erforderlich, dass der Arbeitnehmer bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat.
2. Für deren Nachweis sind die in den ausgestellten Lohnbescheinigungen ausgewiesenen Arbeitsentgelte maßgeblich.
3. Werden darüber hinausgehende offene Lohnansprüche geltend gemacht, so sind an deren Nachweis hohe Anforderungen zu stellen. Bei vom Arbeitgeber getätigten Überweisungen gilt vorgelegten Kontoauszügen eine vorrangige Beweiskraft gegenüber weiteren vorhandenen Beweismitteln. Liegen Quittungen oder sonstige Nachweise über Lohnzahlungen nicht vor, so geht dieser Umstand zu Lasten des Antragstellers. Für vom Arbeitgeber behauptete geleistete Barauszahlungen gilt eine gesteigerte Nachweispflicht.
Normenkette
SGB III § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juni 2015 aufgehoben. Die Klagen werden insgesamt abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Zahlung weiteren Insolvenzgeldes für die Monate September bis November 2010.
Der 1977 geborene Kläger zu 1. und der 1981 geborene Kläger zu 2. - serbische Staatsangehörige - waren bei der Firma I GmbH & Co. KG mit Sitz in H (nachfolgend IB-Bau) als Einschaler tätig. Der Kläger zu 1. wurde laut Arbeitsvertrag vom 14. September 2009 ab diesem Zeitpunkt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden zu einem Stundenlohn von 12,50 € brutto und der Kläger zu 2. ausweislich des Arbeitsvertrages vom 24. August 2009 ab diesem Zeitpunkt mit einer monatlichen Arbeitszeit zwischen 80 und 160 Stunden zu einem Stundenlohn von 12,50 € beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers zu 1. wurde durch Kündigung des Arbeitgebers vom 29. Oktober 2010 zum 30. November 2010 und dasjenige des Klägers zu 2. durch Kündigung des Arbeitgebers vom 15. Oktober zum 15. November 2010 jeweils aus betriebsbedingten Gründen beendet. Über das Vermögen der IB-Bau eröffnete das Amtsgericht Hannover am 18. Januar 2011 das Insolvenzverfahren. Der Kommanditist der persönlich haftenden Gesellschaft der IB-Bau, der serbische Staatsangehörige B I (nachfolgend I.), wurde mit Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 26. Januar 2012 - 246 Ds 5261 Js 12038/11 (309/11) - wegen Beitragsvorenthaltung in fünf Fällen und fahrlässiger Insolvenzverschleppung zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Nach dem Bericht des Beigeladenen vom 12. April 2011 habe die IB-Bau zuletzt 16 Mitarbeiter beschäftigt; offene Lohnforderung beständen für Oktober und November 2010, sowie vorliegend nicht relevant, für Dezember 2010.
Die Kläger beantragten am 14. Januar 2011 bei der Beklagten ab September 2010 Insolvenzgeld und fügten jeweils Verdienstabrechnungen für September bis November 2010 bei. Daraus ergab sich für den Kläger zu 1., dass ihm bei im September und Oktober 2010 jeweils geleisteten 160 Arbeitsstunden und einem Stundenlohn von 12,90 € ein Bruttolohnanspruch in Höhe von 2.064 € je Monat zustand. Diese Abrechnungen enthielten ferner den Vermerk: “Scheck erhalten:„ Nach der Lohnabrechnung für November 2010 habe er 50 Stunden gearbeitet und einen Anspruch auf Lohnfortzahlung für 60 Stunden, mithin bei einem Stundenlohn von 12,90 € Anspruch auf einen Bruttolohn von 1.419 €. Ausweislich der Lohnabrechnungen für den Kläger zu 2. habe dieser bei einem Stundenlohn von 12,90 € im September 2010 193 Stunden gearbeitet mit einem Bruttolohnanspruch von 2.489,70 €, im Oktober 2010 168 Stunden mit einem Bruttolohnanspruch von 2.167 € und im November 2010 64 Stunden, so dass sich ein Bruttolohnanspruch von 825,60 € ergab.
Die Beklagte bewilligte den Klägern auf der Grundlage der vom Beigeladenen ausgestellten Insolvenzgeldbescheinigungen vom 14. Februar 2011 jeweils mit Bescheiden vom 15. März 2011 Insolvenzgeld in Höhe von 2.401,23 € (Kläger zu 1.) bzw. 2.295,73 € (Kläger zu 2.). Nach der Insolvenzgeldbescheinigung beständen für die Kläger nur noch für die Monate Oktober und November 2010 offene Lohnansprüche. Die gegen die Bescheide erhobenen Widersprüche der Kläger, denen Kopien handgeschriebener Stundenzettel für die Monate September bis November 2010 beigefügt waren, die mit einem Firmenstempel der Firma IB-Bau versehen und auf denen die Namen der Kläger vermerkt waren, ferner unterschiedliche Stundenzahlen sowie “Sstr. „ und “Aufgestellt R„, wies die Beklagte jeweils mit Widerspruchsbescheiden vom 29. Juni 2011 zurück. Soweit die Kläger vorgetragen hätten, die Insolvenzgeldbescheinigungen seien unzutreffend, könne dem nach Rücksprache mit der Insolvenzverwaltung nicht gefolgt werden. Die jeweils vorgelegten Beleg...