Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsunfähigkeit bei Unterbringung in psychiatrischer Anstalt wegen Kindesmißbrauch
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Persönlichkeitsstörung mit einer Neigung zu sexuellem Umgang mit Kindern ist zwar eine behandlungsbedürftige Krankheit, läßt im Regelfall jedoch keinen Rentenanspruch entstehen. Nur weil ein wegen Kindesmißbrauchs Verurteilter unbefristet in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht und deshalb auf dem Arbeitsmarkt nicht tätig sein kann, ist er nicht erwerbsunfähig.
2. Eine solche Persönlichkeitsstörung ist nicht vergleichbar mit ekelerregenden Krankheiten oder Anfallsleiden, die unter Umständen keine Arbeiten unter betriebsüblichen Bedingungen zulassen.
3. Zum Grundsatz "keine Gleichheit im Unrecht".
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der sich in strafgerichtlich angeordneter Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus befindende Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit erfüllt.
Der 1956 geborene Kläger durchlief, nachdem er zuvor einige begonnene Ausbildungen nach kurzer Zeit abgebrochen hatte, von September 1973 bis August 1975 eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, die er nach seinen Angaben mit einer Prüfung abschloß. Anschließend war er bei diversen Firmen tätig, insbesondere im Außendienst, zeitweise war er auch arbeitslos. In den Jahren 1985 bis 1987 unternahm er Versuche, sich als Fischhändler oder Gastwirt selbständig zu machen. Im August 1986 und ab 31. Juli 1987 befand er sich in Untersuchungshaft wegen des Verdachts auf Begehung von Sexualdelikten an Kindern, wobei bereits seit 1981 Strafverfahren wegen Straftaten auf sexualstrafrechtlichem Gebiet eingeleitet worden waren.
Mit Urteil des Landgerichts Bremen (Große Strafkammer als Jugendschutzkammer) vom 2. September 1987 wurde er wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt; ferner wurde (gemäß § 63 Strafgesetzbuch - StGB -) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet mit der Begründung, daß aufgrund einer ausgeprägten Persönlichkeitsstörung die Wahrscheinlichkeit bestehe, daß er auch künftig sexuelle Handlungen gegenüber Kindern begehen werde und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Das Landgericht hatte zuvor ein Gutachten des Neurologen/Psychiaters Dr. T (leitender Arzt der forensischen Psychiatrie des Zentralkrankenhauses ≪ZKH≫ B.) vom 31. August 1987 mit Zusatzgutachten des Dipl.-Psychologen Sch vom 1. September 1987 eingeholt. Der Gutachter diagnostizierte eine schwere Persönlichkeitsstörung mit sich periodisch wiederholender perverser Symptombildung mit exhibitionistischen, pädophilen und auch aggressiven Verhaltenstendenzen, verneinte jedoch das Vorliegen von psychiatrischen Krankheitsbildern in Form von krankhaften seelischen Störungen; es finde sich insbesondere kein Anhalt für das Vorliegen einer endogenen, depressiven, manischen, schizophrenen oder exogenen Psychose und kein Hinweis auf ein zerebrales Anfallsleiden oder einen toxischen Hirnabbauprozeß.
Nach der Verurteilung war der Kläger zunächst im ZKH Bremen-Ost untergebracht. Nachdem er von dort jedoch zweimal entwichen war, saß er in der Zeit vom 21. Dezember 1987 bis 10. Februar 1991 in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen ein. Während dieser Zeit hat das Landgericht Bremen als Vollstreckungsgericht von dem Neurologen und Psychiater Prof. Dr. Sch (Abteilung für Sexualforschung der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität H.) ein Gutachten vom 24. November 1989 eingeholt; dieser hat es mangels einer Therapiemotivation des Klägers nicht für sinnvoll gehalten, die weitere Strafvollstreckung zugunsten des Maßregelvollzugs in einer psychiatrischen Klinik zu unterbrechen. Seit dem 11. Februar 1991 befindet sich der Kläger erneut in der forensischen Abteilung der Klinik für Psychiatrie im ZKH B.. Nach Berichten des ZKH vom 15. Januar 1992, 1. April 1992, 15. März 1993 und 5. Januar 1994 sind Vollzugslockerungen wegen weiterhin vorhandener Neigung zu sexuell delinquentem Verhalten nur in sehr begrenztem Umfange möglich.
Am 9. Juli 1992 beantragte der Kläger bei der Beklagten Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit und gab an, unter einer psychischen Erkrankung und einer Krebserkrankung zu leiden. Die Beklagte holte einen am 26. Oktober 1992 eingegangenen Befundbericht des ZKH B., dem weitere Unterlagen beigefügt waren, ein, ferner einen Bericht der Urologischen Abteilung des St. -Bonifatius-Hospitals vom 7. Juli 1988 über die operative Entfernung eines linksseitigen Hodentumors. In einer nervenärztlichen Stellungnahme vom 6. November 1992 äußerte sich der Neurologe und Psychiater Dr. K dahingehend, daß eine Krankheit in rentenrechtlichem Sinne nicht vorliege.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Rentenantrag mit Bescheid vom 24. November 1992 mit der Begründung ab, daß bei dem Kläger eine Verhaltensstörung mit vorwiegend forensischer Relevanz ohne sozialmedizinische B...