Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Übergangsregelung zur Aufrechnung bzw Verrechnung der Geldleistungen mit Ansprüchen des Sozialhilfeträgers. Aufrechnungshöchstdauer
Leitsatz (amtlich)
Bei durchgehendem Bezug von Grundsicherungsleistungen ab Januar 2005 konnte im Rahmen des § 65 e SGB II letztmalig im Dezember 2006 aufgerechnet werden.
Normenkette
SGB II §§ 65e, 43
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 22. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
Die am 22. Juni 2007 durch die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg (SG) vom selben Tag eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 4. Juni 2007 gegen den Aufrechnungsbescheid vom 23. Mai 2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13. Juni 2007 angeordnet.
Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage - wie hier der Widerspruch gegen den Aufrechnungsbe-scheid aufgrund der angeordneten sofortigen Vollziehung (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG) - keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung entscheidet das Gericht aufgrund einer Interessenabwägung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz-Kommentar 8. Aufl., § 86b SGG RdNr. 12). Bei der Abwägung ist von Bedeutung, ob der Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg hat oder nicht (Keller a.a.O., § 86b SGG RdNr. 12c). Ist der Antrag aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet, ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig, wird ausgesetzt. Je größer die Erfolgsaussichten sind, desto geringer sind die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung.
Vorliegend wird der Rechtsbehelf des Antragstellers Erfolg haben, da das SG zu Recht entschieden hat, dass der Bescheid vom 23. Mai 2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13. Juni 2007 deswegen rechtswidrig ist, weil einer Aufrechnung mit Ansprüchen des Sozialhilfeträgers die in § 65e Satz 2 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II - in der ab 1. August 2006 geltenden Fassung bestimmte Frist entgegensteht.
Nach § 65e Satz 2 SGB II ist die nach dessen Satz 1 zulässige Aufrechnung (bzw. Verrechnung) von Ansprüchen des Trägers der Sozialhilfe gegen den Hilfebedürftigen mit Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf die ersten zwei Jahre des Leistungsbezugs nach diesem Buch beschränkt. Diese Norm bestimmt nach zutreffender Ansicht eine Aufrechnungshöchstdauer, d.h. sie regelt, wie lange maximal mit einer Gegenforderung aufgerechnet werden darf (z. B. Birk in: LPK-SGB II, § 65e Rn. 6). Die vereinzelt gebliebene Gegenansicht (Mayer in: Oestreicher, SGB XII/II, § 65e SGB II Rn. 9), die hierin eine bloße Aufrechnungsfrist sieht, innerhalb derer die Aufrechnung erklärt werden muss, und dies damit begründet, dass der durch § 65e Satz 1 SGB II für anwendbar erklärte § 43 SGB II in seinem Satz 3 bereits eine Höchstdauer regele, überzeugt schon deswegen nicht, weil § 65e Satz 1 SGB II allein auf die in § 43 Satz 1 SGB II geregelten Voraussetzungen verweist.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 65e Satz 2 SGB II endet die Berechtigung des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende zur (weiteren) Aufrechnung bzw. Verrechnung mithin in dem Zeitpunkt, in dem der hilfebedürftige Schuldner (erstmalig) insgesamt zwei Jahre lang Leistungen nach dem SGB II bezogen hat. Bei einem - wie hier - ununterbrochenen Bezug von Grundsicherungsleistungen seit Inkrafttreten des Gesetzes konnte daher letztmalig im Dezember 2006 aufgerechnet werden (so auch die ganz h.M. in der Kommentarliteratur; Adolph in: Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 65e SGB II Rn. 15; Birk a.a.O. Rn. 7; Marschner in: Estelmann, SGB II, § 65e Rn. 7).
Dem steht nicht entgegen, dass § 65e Satz 2 SGB II seinen jetzigen Regelungsgehalt durch Art. 1 Nr. 52 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I 1706, 1715) erhalten hat und erst zum 1. August 2006 in Kraft getreten ist (Art. 16 Abs. 1 des Gesetzes). Die von der Antragsgegnerin vertretene Auffassung, dass die Zweijahresfrist erst mit dem Inkrafttreten der Norm zu laufen beginne (ebenso Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 65e Rn 43), ist zwar unter Praktikabilitätsgesichtspunkten verständlich; da die für eine Aufrechnung verbleibende Zeit bei einem durchgehenden Bezug von Grundsicherungsleistungen nur fünf Monate beträgt und nach § 43 Satz 1 SGB II die Aufre...