Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagerücknahmefiktion bei Versäumung der dreimonatigen Ausschlussfrist

 

Orientierungssatz

1. Die Klage gilt gemäß § 102 Abs. 2 S. 1 SGG als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt.

2. Die Betreibensaufforderung muss den Hinweis auf die Rechtsfolge des § 102 Abs. 1 SGG enthalten.

3. Die materiellen Voraussetzungen der Klagerücknahmefiktion liegen vor, wenn für das Gericht Anlass zu der Annahme besteht, dass dem Kläger an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist.

4. Bei der Frist aus § 102 Abs. 2 S. 1 SGG handelt es sich um eine im Interesse der Rechtssicherheit gesetzte Ausschlussfrist. Eine Wiedereinsetzung in die in § 102 Abs. 2 S. 1 SGG normierte dreimonatige Betreibensfrist nach § 67 Abs. 1 SGG kommt damit nicht in Betracht.

 

Tenor

1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 28. November 2016 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor der Entscheidung in der Hauptsache wie folgt gefasst wird: Es wird festgestellt, dass das Klageverfahren mit dem Aktenzeichen S 47 AL 302/08 durch Klagerücknahme erledigt ist.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich der Sache nach gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten.

Mit Bescheid vom 25. August 1998 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis zum 6. August 1998 teilweise auf mit der Begründung, nach einer Änderung seiner Lohnsteuerklasse (von III auf II mit Wirkung ab dem 1. Januar 1998) habe dem Kläger wöchentlich nur mehr ein Betrag von 433,02 DM anstelle der geleisteten 488,11 DM zugestanden. Die auf diese Weise entstandene Überzahlung von 1.711,66 DM habe der Kläger zu erstatten. Den hiergegen am 2. September 1998 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1999 zurück.

Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Hamburg Klage erhoben. Die Klage ist zunächst unter dem Aktenzeichen S 12 AL 112/99 geführt worden. Der Kläger hat ausgeführt, die Änderung der Steuerklasse hätte erst mit Wirkung zum 5. Juli 1998 erfolgen dürfen. Mit Beschlüssen vom 4. Februar 2002 und 26. März 2002 hat das SG das Ruhen des Verfahrens mit der Begründung angeordnet, dem Kläger solle Gelegenheit gegeben werden, eine entsprechende Änderung seiner Lohnsteuerklasse zu erreichen. Im April 2004 ist das Klageverfahren statistisch ausgetragen worden. Im November 2005 hat das Finanzgericht (FG) Hamburg mitgeteilt, dass das dortige Verfahren erledigt sei.

Die Beklagte hat am 7. Mai 2008 die Fortführung des Verfahrens beantragt und ausgeführt, die vom Kläger vor dem FG Hamburg angestrengte Klage auf Änderung der Lohnsteuerklasse sei offenbar ohne Erfolg geblieben. Auf die Bitte der Beklagten, die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) über die vom Kläger erhobene Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des FG zu übersenden, habe der Kläger nicht reagiert. Das SG hat das Verfahren - nunmehr unter dem Aktenzeichen S 47 AL 302/08 - fortgeführt und im Juli 2008 zum Erörterungstermin geschrieben. Mit Schreiben des Kammervorsitzenden vom 25. November 2011 hat das SG den Kläger aufgefordert, den in seiner Sache ergangenen Beschluss des BFH vorzulegen. Es hat angefragt, ob der Kläger noch an einer Fortführung des Rechtsstreits interessiert sei. Unter dem 6. Dezember 2011 hat das SG - offenbar auf Wunsch des Klägers - diesem eine Ablichtung der Klageschrift und des Widerspruchsbescheides übersandt und erneut nachgefragt, ob noch Interesse an der Fortführung des Klageverfahrens bestehe.

Am 19. Januar 2012 hat der Kammervorsitzende in einer mit vollem Namen unterzeichneten Verfügung angeordnet, dass dem Kläger folgendes Schreiben übersandt wurde:

"Sehr geehrter Herr S.,

das Gericht hatte mit Schreiben vom 28. November 2011 sowie vom 6. Dezember 2011 angefragt, ob das Klageverfahren, das seinen Grund in einem Vorgang aus dem Jahr 1998 hat, fortgeführt werden soll. Bislang haben Sie hierzu keine Erklärung abgegeben.

Besteht noch Interesse an der Fortsetzung des Verfahrens?

Sie werden gebeten, das Verfahren innerhalb von drei Monaten nach Zustellung dieses Schreibens durch Erklärung zur Fortsetzung und ggf. der Abgabe einer weitergehenden Begründung zu betreiben.

Es wird darauf hingewiesen, dass die Klage gemäß § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zurückgenommen gilt, wenn das Verfahren nach Zustellung dieser Aufforderung länger als drei Monate nicht betrieben wird.

gez. Vorsitzender Kammer

Ausgefertigt worden ist das Schreiben am 24. Januar 2012. Nachdem am 25. Februar 2012 noch keine Zustellungsnachweise eingegangen waren, hat der Kammervorsitzende am 27. Februar 2012 erneut die Zustellung des Schreibens, diesmal unter dem Datum 29. Februar 2012 verfügt. Ausweislich einer am 5. März 2012 zu den Akten des Gerichts gelangten Postzustellungsurkunde hat der Zu...

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