Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Sitzverlegung ohne erforderliche Genehmigung des Zulassungsausschusses. kein automatisches Ende der Zulassung kraft Gesetzes. Entziehungsgrund. gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Pflichten. Begehung von Straftaten. Vermögensdelikt

 

Orientierungssatz

1. Eine Verlegung der Praxis innerhalb des Bezirks des Kassenarztsitzes ohne die erforderliche Genehmigung des Zulassungsausschusses nach § 24 Abs 7 Ärzte-ZV macht eine weitere vertragsärztliche Tätigkeit unzulässig, lässt die Wirkung der Zulassung jedoch nicht kraft Gesetzes enden sondern stellt "nur" einen Entziehungsgrund dar (vgl ua BSG vom 2.9.2009 - B 6 KA 35/08 R = BSGE 104, 128 = SozR 4-2500 § 95 Nr 15).

2. Die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit außerhalb des Vertragsarztsitzes ohne bzw vor der Genehmigung der Sitzverlegung stellt eine gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Pflichten dar, die zur Zulassungsentziehung gem § 95 Abs 6 S 1 SGB 5 führt, wenn sie nicht glaubhaft abgestellt wird und deshalb der Schluss gerechtfertigt ist, dass die betroffenen Ärzte nicht bereit sind, sich auch dann an die rechtlichen Vorgaben für die vertragsärztliche Versorgung zu halten, wenn sie diese als lästig empfinden (vgl BSG vom 2.9.2009 - B 6 KA 35/08 R aaO).

3. Das Vorliegen eines Entziehungsgrundes kann aus rechts- bzw bestandskräftigen Entscheidungen anderer Gerichte (hier: Begehung von Straftaten) oder Behörden abgeleitet werden (vgl BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 32/09 B).

4. Mangelnde Eignung als Zulassungsvoraussetzung gem § 21 Ärzte-ZV kann sich auch in der Begehung von Vermögensdelikten manifestieren. Ein Arzt, der den gebotenen Respekt vor fremden Vermögen oder Eigentum vermissen lässt und dies sogar in der Begehung von Eigentums- und Vermögensstraftaten zum Ausdruck gebracht hat, rechtfertigt nicht das Vertrauen, dass er die Vermögensinteressen der am System der vertragsärztlichen Versorgung Beteiligten achten und nicht schädigen wird (vgl LSG Essen vom 8.10.2003 - L 11 KA 165/02).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 22.03.2016; Aktenzeichen B 6 KA 69/15 B)

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten jeweils selbst tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung ihrer Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung.

Die Juli 1944 geborene Klägerin ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und seit dem 3. August 1992 als Praktische Ärztin im Bezirk der Beigeladenen zu 7 zur hausärztlichen Versorgung zugelassen. Ihr Praxissitz befand sich ab dem 1. Januar 2005 ... und ab dem 1. April 2007 ...

Während des Jahres 2007 erhielt sie von der Beigeladenen zu 7 insgesamt acht Abschlagszahlungen in Höhe von jeweils 4.000 Euro, außerdem erhielt sie am 23. August 2007 und am 26. November 2007 Restzahlungen für die Quartale I/2007 bzw. II/2007 in Höhe von 5.186,59 Euro bzw. 10.587,67 Euro. Den Abschlag für Oktober bis Dezember 2007 in Höhe von 16.500 Euro erhielt sie am 16. April 2008, außerdem am 23. Mai 2008 eine Restzahlung für das Quartal IV/2007 in Höhe von 2.089,77 Euro. Abschlagszahlungen für das Quartal II/2008 erhielt sie am 23. April und 14. Mai 2008 (für April: 5.500 Euro), am 23. und 27. Mai 2008 (für Mai: 5.500 Euro) und am 23. und 30. Juni 2008 (für Juni: 5.500 Euro).

Am 15. Januar 2010 verhängte das Amtsgericht Wuppertal gegen die Klägerin eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen wegen Betruges in fünf Fällen (Datum der letzten Tat war der 9. Mai 2008). Durch Urteil vom 23. Juli 2010 (Az. 843 Cs 3403 Js 250/09 [64/10]) verurteilte das Amtsgericht Hamburg-Barmbek die Klägerin wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen. Nach den Feststellungen des Urteils hatte die Klägerin der Zeugin Frau J. im Sommer 2007 ihre damaligen Praxisräume zur Untermiete an, da sie selbst neue Praxisräume suche, die "Anmeldung" der alten Praxis jedoch noch bestehen lassen wolle. Ausweislich der Niederschrift über die Vernehmung der Zeugin bei der Polizei hatte die Klägerin geäußert, sie wolle weiterhin einen Teil ihrer Patienten in ... behandeln, weswegen auch die "Anmeldung" dort bleibe. Weiter übergab die Zeugin J. der Klägerin nach den Feststellungen des Amtsgerichts am 28. August 2007 einen Geldbetrag in Höhe von 11.000 Euro, der als Darlehen gewährt werden sollte. Die Klägerin versicherte dies gegenüber der Zeugin, obwohl sie sich bereits bei Aufnahme des Darlehens darüber bewusst war, dass sie das Geld mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht innerhalb der zugesagten Frist von zwei Monaten würde zurückzahlen können. Die Klägerin verschwieg der Zeugin gegenüber, dass erst kurz zuvor ein im Jahr 2000 eingeleitetes Insolvenzverfahren abgeschlossen worden war und weitere Forderungen gegen sie bestanden. Die Klägerin ließ sich vor dem Amtsgericht dahingehend ein, sie sei davon ausgegangen, eine Restzahlung der Beigeladenen zu 7 in Höhe von 13.000 Euro zu erhalten, aus de...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge