Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechtigung eines Ausländers zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Voraussetzung für die Bewilligung von Erziehungsgeld

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein nicht zur Freizügigkeit berechtigter Ausländer hat auch dann, wenn er sich wegen seines die deutsche Staatsangehörigkeit besitzenden Kindes auf absehbare Dauer in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten kann, keinen Anspruch auf Erziehungsgeld gemäß § 1 Abs. 6 BErzGG 2006, solange er nicht tatsächlich im Besitz eines der dort genannten Aufenthaltstitel ist, der ihn zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Dass er in den für den Anspruch auf Erziehungsgeld maßgeblichen Lebensmonaten des Kindes einen Anspruch auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels hatte oder dass ein solcher Titel rückwirkend erteilt wird, reicht für den Anspruch auf Erziehungsgeld nicht aus.

2. Diese Einschränkung rechtfertigt sich aus dem Zweck des Erziehungsgeldes, Eltern in einer bestimmten Zeit nach der Geburt die Betreuung ihrer Kinder durch Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit oder deren Einschränkung zu ermöglichen.

3. Hierin liegt kein Verstoß gegen das Grundgesetz oder die Europäische Menschenrechtskonvention.

 

Orientierungssatz

1. Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer hat dann einen Anspruch auf Erziehungsgeld, wenn er einen zur Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltstitel besitzt, aufgrund dessen zu erwarten ist, dass er sich dauerhaft in Deutschland aufhält.

2. Die Regelung des § 1 Abs. 6 BErzGG ist verfassungsgemäß. Sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber kann Ausländer, die aus Rechtsgründen keiner Erwerbstätigkeit nachgehen dürfen, vom Erziehungsgeld ausschließen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 06. Juli 2004 - 1 BvR 2515/95.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom  30. April 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Erziehungsgeld.

Die am XXXXX 1975 in A. geborene Klägerin besitzt die i. Staatsangehörigkeit. Am 14. April 2005 beantragte sie bei der Beklagten Erziehungsgeld für den 13. bis 24. Lebensmonat ihrer am XXXXX 2003 in Hamburg geborenen Tochter M. Sie legte ein von der Freien und Hansestadt Hamburg (Behörde für Inneres) am 18. Mai 2005 ausgestelltes Ausweisersatzdokument vor, demzufolge ihre Abschiebung bis zum 18. Juli 2005 ausgesetzt sei, die Duldung nur der Vorbereitung der Abschiebung diene und ihr eine selbständige Erwerbstätigkeit sowie die Arbeitsaufnahme nicht gestattet seien. Des Weiteren ist dort ausdrücklich vermerkt, die Aussetzung der Abschiebung beinhalte keinen Aufenthaltstitel; der Inhaber sei ausreisepflichtig. Mit Bescheid vom 14. April 2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erziehungsgeld mit der Begründung ab, Ausländer, die wie die Klägerin nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union oder eines der Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes (EU-/EWR-Bürger) besäßen, müssten zur Begründung eines Anspruchs auf Erziehungsgeld gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 1 des Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder einer der im BErzGG aufgeführten besonderen Aufenthaltserlaubnisse sein. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall, weil ihr lediglich die Aussetzung ihrer Abschiebung (Duldung) erteilt worden sei.

Mit ihrem am 9. Mai 2005 eingegangenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gewährung von Erziehungsgeld an Ausländer (Beschluss vom 6. Juli 2004 - 1 BvR 2515/95) verstoße es gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Grundgesetz (GG), wenn Ausländer vom Erziehungsgeld ausgeschlossen würden, die absehbar dauerhaft in Deutschland bleiben würden oder jedenfalls die Möglichkeit hätten, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. So verhalte es sich hier, denn ihre Tochter Mai besitze die deutsche Staatsangehörigkeit und werde deshalb dauerhaft in Deutschland bleiben. Da eine Trennung von Mutter und Kind gemäß Art. 6 GG verfassungswidrig wäre, werde auch sie - die Klägerin - dauerhaft in Deutschland bleiben.

Während des Widerspruchsverfahrens erteilte das Einwohnerzentralamt der Beklagten der Klägerin am 20. September 2005 aufgrund des vom H. Oberverwaltungsgericht im Verfahren 4 Bf 161/05 mit Beschluss vom 9. Juni 2005 vorgeschlagenen Vergleichs zur Ausübung der Personensorge für ihre Tochter M. eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 des seit dem 1. Januar 2005 geltenden Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Das Oberverwaltungsgericht hatte in seinem Beschluss darauf hingewiesen, dass die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG (Familiennachzug zu Deutschen) schon wegen ihrer unverändert bestandskräftigen Ausweisung durch Verfügung vom 15. Februar 2000 nicht beanspruchen könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktob...

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