Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe in anderen Lebenslagen. Übernahme von Bestattungskosten. Unzumutbarkeit der Kostentragung. Einzelfallprüfung. späte Antragstellung. wirtschaftliche Zumutbarkeit. Bedürftigkeit sowohl im Zeitpunkt der Fälligkeit als auch im Zeitpunkt der Behördenentscheidung
Orientierungssatz
1. Ein Anspruch auf Übernahme von Bestattungskosten nach § 74 SGB 12 setzt zwar einen Antrag voraus, sieht hierfür aber keine Frist vor. Bereits deshalb kann (soweit keine Verjährung im Raume steht) ein längeres Zuwarten nicht allein und quasi automatisch zur Annahme einer Zumutbarkeit der Kostentragung und damit zum Wegfall des Anspruchs führen. Vielmehr ist stets, also auch bei später Antragstellung, die Zumutbarkeit im Einzelfall zu prüfen.
2. Bei der Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit kommt es zunächst an auf die Bedürftigkeit im Zeitpunkt der Fälligkeit der Rechnungen, die im Zusammenhang mit der Bestattung angefallen sind. Darüber hinaus ist ein Fortbestehen der Bedürftigkeit im Zeitpunkt der Behördenentscheidung erforderlich (sofern keine willkürliche Verzögerung seitens der Behörde vorliegt).
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. November 2018 abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten, die ihm für die Beerdigung seines Vaters, …, entstanden sind.
Der Vater des 1989 geborenen Klägers bezog Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) von der Beklagten. Im November 2013 verstarb er. Der Kläger schlug die Erbschaft aus, ebenso die möglichen weiteren Erben (Bruder und Halbbruder des Vaters nebst Abkömmlingen). Der Kläger veranlasste die Bestattung seines Vaters, die am 16. Dezember 2013 stattfand. In diesem Zusammenhang wurden ihm folgende Beträge in Rechnung gestellt, insgesamt 2.338,93 Euro:
- 893,- Euro von der Firma … für einen Sarg sowie den Transport des Leichnams vom Institut für Rechtsmedizin zum Friedhof und vom Friedhof zur Feierhalle,
- 1.389,- Euro mit Gebührenbescheid der Hamburger Friedhöfe AöR für 25 Jahre „Sargwahlgrab in Standardqualität, 2 Stellen“, die Beisetzung einer Urne einschließlich Herrichtung der Grabstätte sowie die Benutzung einer Feierhalle des Hamburger Bestattungsforums,
- 42,- Euro vom Standesamt für sechs Sterbeurkunden und
- 14,93 Euro für Fotos des Verstorbenen.
Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger Auszubildender, er erhielt im November 2013 eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 830,- Euro brutto und 660,47 Euro netto. Die Miete für die von ihm und seiner Lebensgefährtin bewohnte Wohnung betrug zu diesem Zeitpunkt 600,- Euro monatlich. Der Kläger beglich die Rechnungen, seinem Vortrag nach mit von seinem Freund, Herrn W., geliehenem Geld. Er unterzeichnete am 20. Dezember 2013 ein „Schuldanerkenntnis“ über einen Schuldbetrag von 2.900,- Euro, in dem er sich verpflichtete, den Betrag bis zum 31. Juli 2016 vollständig zurückzuzahlen.
Am 11. Februar 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der verauslagten Bestattungskosten aus Mitteln der Sozialhilfe und reichte eine Aufstellung seiner laufenden Kosten und seiner Einnahmen im November 2013 nebst Belegen, Unterlagen über sein Kfz, das Schuldanerkenntnis sowie die oben genannten Rechnungen ein. Er teilte mit, er habe das Darlehen von Herrn W. bisher nicht zurückgezahlt.
Mit Bescheid vom 18. Mai 2016 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab und führte zur Begründung aus: Wenn ein Kostentragungspflichtiger die Kosten für eine Bestattung bereits übernommen habe, aber den Bedarf erst später als sechs Monate nach Begleichung der Rechnungen anmelde, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass die Kostentragung dem Betroffenen zumutbar sei. Hier sei der Bedarf erst 27 Monate nach der Bestattung geltend gemacht worden, weshalb eine Kostenübernahme nicht mehr erfolgen könne.
Mit Email an die Beklagte vom 24. Mai 2016 trug der Kläger vor, zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters sei er Auszubildender gewesen, sein Vater habe Schulden gehabt. Um die Kosten für die Bestattung so gering wie möglich zu halten, habe er alles, was möglich gewesen sei, selbst erledigt. Zur Deckung der anfallenden Kosten habe er ein Privatdarlehen aufgenommen. Dieses könne er nicht aus eigener Kraft zurückzahlen. Er habe nicht gewusst, dass er eine Sozialbestattung beantragen könne, sonst hätte er dies natürlich getan. Erst als eine Freundin ihm davon erzählt habe, habe er sich über diese Möglichkeit informiert und dann den entsprechenden Antrag gestellt.
Der Kläger legte am 2. Juni 2016 Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Mai 2016 ein. Er trug vor, die Beklagte habe den Einzelfall nicht geprüft, sondern lediglich pauschal behauptet, dass aufgrund der späten Antragstellung eine Kostentragung zumutb...