Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarzt. Zulassungsentziehung wegen fehlendem Nachweis der Fortbildung. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der Verstoß gegen die Pflicht zur fachlichen Fortbildung nach § 95d SGB 5 über den gesamten gesetzlich geregelten Zeitraum von insgesamt 7 Jahren einschließlich der zu setzenden, bereits mit Honorarkürzungen verbundenen Nachfrist von 2 Jahren, stellt unabhängig von einem Verschulden des Vertragsarztes einen gröblichen Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten im Sinne des § 95 Abs 6 S 1 SGB 5 dar, der grundsätzlich die Entziehung der Zulassung als gebundene Entscheidung nach sich zieht (stRspr, Anschluss insbesondere an BSG vom 11.2.2015 - B 6 KA 37/14 B und BSG vom 28.10.2015 - B 6 KA 36/15 B).

2. Die vorgesehenen Sanktionen stehen vor dem Hintergrund des Zwecks der Fortbildungspflicht, die Qualität der vertragsärztlichen Versorgung zu sichern, mit der Berufsfreiheit aus Art 12 Abs 1 GG im Einklang (Anschluss insbesondere an BSG vom 11.2.2015 - B 6 KA 37/14 B und BSG vom 28.10.2015 - B 6 KA 36/15 B)

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 14.07.2021; Aktenzeichen B 6 KA 42/20 B)

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Entziehung der Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung.

Der am ... 1940 geborene Kläger ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und seit 1979 im Bezirk der Beklagten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, unterbrochen nur durch das Erreichen der damals noch geltenden Altersgrenze im September 2008 bis zur Neuzulassung nach deren Wegfall Anfang Februar 2009. Er ist in Einzelpraxis ausschließlich psychotherapeutisch tätig und führt seit dem Jahr 2000 auch alle organisatorischen Aufgaben alleine aus; er nimmt lediglich die Dienste eines Steuerberaters in Anspruch. Jedenfalls seit seiner Wiederzulassung generiert der Kläger etwa 80 Prozent seiner Praxisumsätze aus der Versorgung von gesetzlich Krankenversicherten. Seit Oktober 2005 erhält er vom ärztlichen Versorgungswerk eine Altersrente in Höhe von etwa 1600 Euro monatlich ausgezahlt. Zudem erzielt er laufend ein Bruttoeinkommen in Höhe von durchschnittlich 1000 Euro monatlich aus einer gutachterlichen Tätigkeit.

Nach seiner Wiederzulassung bat der Kläger die Beigeladene zu 1 um Überprüfung seines Fortbildungskontos. Diese teilte ihm mit Schreiben vom 28. April 2009 mit, die Frist für den Erwerb von 250 Fortbildungspunkten ende erstmals am 28. Februar 2014. In der Folgezeit besuchte der Kläger zunächst keinerlei zertifizierte Fortbildungsveranstaltungen und legte der Beigeladenen zu 1 entsprechend keine Fortbildungsnachweise vor. Auf seinem Fortbildungskonto bei der Ärztekammer Hamburg wurden lediglich zehn Punkte jährlich für das Selbststudium gutgeschrieben.

Der Kläger erlitt am 23. März 2010 einen Unfall, wegen dessen Folgen er im Laufe jenes Jahres zweimal operiert wurde und sich vom 26. März bis zum 4. April 2010, vom 19. Oktober bis zum 3. November 2010 sowie vom 12. bis 26. November 2010 jeweils in stationärer Behandlung befand. Ein Ruhen der Zulassung wurde vom Kläger nicht beantragt, ein Vertreter nicht bestellt. In 2010 erzielte der Kläger für seine vertragsärztliche Tätigkeit eine Vergütung in Höhe von 39.013,91 Euro (Quartal 1/2010), 36.461,51 Euro (Quartal 2/2010), 35.708,29 Euro (Quartal 3/2010) und 35.177,95 Euro (Quartal 4/2010), nachdem er im Vorjahr hierfür 30.865,97 Euro (Quartal 1/2009), 44.366,83 Euro (Quartal 2/2009), 41.791,66 Euro (Quartal 3/2009) und 36.997,38 Euro (Quartal 4/2009) erzielt hatte.

Der Kläger leidet seit 2008 an einer mittel- bis hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit. Aufgrund eines Sprachaudiogramms vom 12. Juli 2012 wurde beim einfachen Gesamtwortverstehen ein Hörverlust von 60 Prozent rechts und von 95 Prozent links diagnostiziert. Der Kläger trägt ein Hörgerät. Seit dem 18. Juni 2012 ist bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 ohne Merkzeichen anerkannt (Feststellungsbescheid des Versorgungsamts H. vom 1. November 2012). Dabei wurden seine Schwerhörigkeit mit einem Teil-GdB von 40 und eine Funktionsstörung der Wirbelsäule wegen einer Versteifung von Wirbelsäulenabschnitten mit einem Teil-GdB von 20 bewertet.

Mit Schreiben vom 12. November 2013 teilte die Beigeladene zu 1 dem Kläger mit, sein Fortbildungskonto weise aktuell 40 Punkte auf. Sie wies ihn zugleich darauf hin, dass bei nicht oder nicht vollständig erbrachtem Fortbildungsnachweis die Zulassung zu entziehen sei, wenn der Fortbildungsnachweis auch nach Ablauf der zweijährigen Nachfrist nicht erbracht werde. Auf die Bitte, von den angedrohten Sanktionen abzusehen, teilte die Beigeladene zu 1 dem Kläger mit E-Mail vom 16. Dezember 2013 und Schreiben vom 7. Januar 2014 mit, dies sei leider nicht möglich; er, der Kläger, habe im betroffenen Zeitraum durchgehend an der vertragsärztliche...

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