Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Zuerkennung der Merkzeichen aG. außergewöhnliche Gehbehinderung. bzw. B. Berechtigung für eine ständige Begleitung. im Schwerbehindertenrecht
Orientierungssatz
1. Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens aG - außergewöhnliche Gehbehinderung - hat nach § 69 Abs. 4 SGB 9 i. V. m. §§ 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen zu § 2 VersMedV rechtfertigen Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz eine Gleichstellung.
2. Die Zuerkennung des Merkzeichens B setzt zusätzlich zu den Voraussetzungen der Merkzeichen G, Gl oder H voraus, dass der Betreffende bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist, §§ 145 Abs. 1 S. 1, 146 Abs. 2 SGB 9. Ist ein Fortbewegen im Straßenverkehr ohne fremde Hilfe möglich, ebenso wie das Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel ohne Begleitung, so ist eine Zuerkennung des Merkzeichens B ausgeschlossen.
Normenkette
SGB IX § 69 Abs. 4, § 145 Abs. 1 S. 1, § 146 Abs. 2; StVO § 46 Abs. 1 Nr. 11; StVG § 6 Abs. 1 Nr. 14; VersMedV § 2
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt 1/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich nach einem Teilanerkenntnis der Beklagten noch gegen die Entziehung der Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) und B (Berechtigung für eine ständige Begleitung).
Mit Bescheid vom 26. August 2008 war bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkmale G (erhebliche Gehbehinderung), B und aG festgestellt worden. Dem lagen die folgenden Gesundheitsstörungen zu Grunde: Herzleistungsminderung psychische Minderbelastbarkeit Hüftgelenksersatz rechts, Nervenstörung beider Beine Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung Sehbehinderung beidseits chronische Magenschleimhautentzündung Knochenentkalkung
Am 21. Januar 2013 hörte die Beklagte nach Durchführung eines Überprüfungsverfahrens von Amts wegen die Klägerin zu einer beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 50 sowie zu einem Entzug der Merkzeichen an. Mit Neufeststellungsbescheid vom 28. Mai 2013 stellte die Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 50 fest. Ebenso stellte sie fest, dass die Voraussetzungen für die Merkzeichen G, B und aG nicht mehr vorlägen. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. September 2013).
Die Klägerin begehrte mit ihrer am 10. Oktober 2013 erhobenen Klage zunächst um die Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides. Das Sozialgericht holte daraufhin ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten ein, welches Frau Dr. F. am 14. Juni 2014 für das Gericht erstellte. Diese führte aus, bei der Klägerin liege eine schwerste komplexe psychische Störung vor, die zusammenfassend zu beschreiben sei als schwere, frühe beginnende strukturelle Störung mit folgenden Auswirkungen: Alkoholabhängigkeit (F 10.2), Schlaf- und Beruhigungsmittelabhängigkeit (F13.2), Anorexia nervosa (F50.0). Die Einstufung der Funktionsstörung sei als schwerstgradig zu beschreiben. Daneben bestehe eine Nervenstörung beider Beine, im Sinne einer äthyltoxischen Polyneuropathie, eine Herzleistungsminderung als äthyltoxische Kardiomyopathie, eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung, eine Sehbehinderung beidseits, eine Knochenentkalkung, ein Zustand nach Hüftgelenksersatz rechts, eine Fraktur des Oberschenkels rechts sowie eine chronische Magenschleimhautentzündung. Insgesamt habe sich im Vergleich zum Bescheid der Beklagten vom 26. August 2008 die Herzerkrankung deutlich gebessert, die Auswirkungen der Anorexia nervosa mit den daraus resultierenden Konsequenzen einer massiven körperlichen Schwäche habe sich in Art und Ausprägung allerdings deutlich verschlimmert. Auch die hierdurch verursachten Magen-Darm-Störungen und die psychischen Auswirkungen mit zwanghafter, andauernder Beschäftigung mit dem Thema Essen hätten ebenfalls an Intensität zugenommen. Hierdurch sei es zu einer zunehmenden sozialen Isolation gekommen. Insgesamt sei unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen zueinander der Gesamt-GdB mit 100 einzuschätzen. Außerdem seien die Voraussetzungen des Merkzeichens aG gegeben, da die Klägerin nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Fahrzeuges mobil sei. Nur durch permanent grenzüberschreitende Leistungsbereitschaft sei die Klägerin überhaupt in der Lage, sich eigenständig entweder mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder im eigenen Auto fortzubewegen. Eine längere Gehstrecke sei ihr durch die letztlich infolge der psychischen Störung eingetretene körperliche Schwäche und komplizierend hierzu vorliegende Nervenstörung der Beine sowie die eingeschränkte Herz- und Lungenleistung nicht möglich. Die Vo...