Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterschiedliche Vergütung im organisierten bzw. im freiwilligen Notfalldienst erbrachter vertragsärztlicher Leistungen
Orientierungssatz
1. Die Kassenärztliche Vereinigung ist nach § 106 a Abs. 1 und 2 SGB 5 zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der vertragsärztlichen Honorarforderung berechtigt. Hierzu gehört die arztbezogene Prüfung der Abrechnung auf Plausibilität sowie die Prüfung abgerechneter Sachkosten.
2. Bei der Überprüfung sachlich-rechnerischer Richtigstellungen, welche die Abrechnung der im organisierten Notdienst nach § 75 Abs. 1 S. 2 SGB 5 erbrachten Leistungen betreffen, hat das Gericht u. a. zu entscheiden, ob diese Leistungen im Rahmen einer Notfall-Erstversorgung geblieben sind. Dasselbe gilt für die Leistungen, die im freiwilligen Notfalldienst erbracht worden sind. Maßgeblich ist, dass der Notfalldienst ausschließlich auf eine Notfall-Erstversorgung ausgerichtet ist. Der Notfalldienst berechtigt den Arzt von vorneherein nicht zur Erbringung von Leistungen, die typischerweise im Rahmen einer kontinuierlichen Patientenbetreuung anfallen.
3. Die Partner der Honorarverteilungsvereinbarung sind nicht dazu verpflichtet, aus Gleichbehandlungsgründen den freiwilligen Notfalldienst hinsichtlich der Vergütung dem organisierten Notfalldienst völlig gleichzustellen; denn es handelt sich, rechtlich betrachtet, um unterschiedliche Institute. Der maßgebliche Unterschied liegt in der Freiwilligkeit der Teilnahme.
4. Entscheidend für die abweichende Vergütung ist die Tatsache, dass ein Patient, der sich beim Vertragsarzt im Rahmen einer von diesem vorgehaltenen Notfallsprechstunde vorstellt, den Vertragsarzt nicht unvorhergesehen im Sinne der Nummern 01100 und 01101 EBM 2000 plus in Anspruch nimmt.
Normenkette
SGB V § 73 Abs. 2, § 75 Abs. 1 S. 2, § 76 Abs. 1 S. 2, § 85 Abs. 2a, § 87a Abs. 3 S. 5, § 106a Abs. 1-2; SGB X §§ 34, 58 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; BGB § 134; EBM-Ä Nr. 01100, Nr. 01101; SGG §§ 77, 84, 96
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. April 2011 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, den Kläger unter Abänderung des Honorarbescheides vom 23. August 2006 und des Bescheides vom 29. August 2006, beide in Gestalt der Bescheide vom 30. Januar 2008 und vom 19. August 2008 und des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2008, die Honorarabrechnung des Klägers für das Quartal I/2006 mit der Maßgabe neu zu bescheiden, dass sieben Leistungen nach Nummer 03313 EBM 2000plus zu vergüten sind. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Im Übrigen bleibt es bei der Kostenentscheidung des Sozialgerichts Hamburg.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Neubescheidung seiner Honorarabrechnung für das Quartal I/2006.
Er war im streitigen Quartal als Facharzt für Allgemeinmedizin im Bezirk der Beklagten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Neben seiner regulären Tätigkeit sowie der Teilnahme an dem von der Beklagten in Wahrnehmung ihres Sicherstellungsauftrags organisierten Notdienst (§ 73 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit § 75 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB V) behandelte er Patienten auch in der Hausärztlichen Notfallpraxis am M. (i.F.: H.) in H1. Hierbei handelt es sich um eine Einrichtung niedergelassener Hausärzte in Zusammenarbeit mit dem M., die die allgemeinärztliche Notfallbehandlung sichern und die Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus und Hausarzt verbessern soll. Die Praxis hat am Wochenende und an Feiertagen von 9 Uhr bis 21 Uhr geöffnet.
Mit Bescheid vom 23. August 2006 setzte die Beklagte für das Quartal I/2006 ein Honorar von 36.790,49 Euro fest. Mit Bescheid vom 29. August 2006 erklärte sie außerdem, sie habe das vom Kläger angeforderte Honorar für das Quartal I/2006 um 27.055 Punkte und 17,20 Euro gemindert: Der Kläger habe u.a. "im Rahmen des Notfalldienstes im Krankenhaus" die Nrn. 01100 und 01101 des zum 1. April 2005 in Kraft getretenen Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen (EBM 2000plus) unberechtigt in Ansatz gebracht, da im Notfalldienst nicht von einer unvorhergesehenen Inanspruchnahme ausgegangen werden könne. Im organisierten Notfalldienst habe der Kläger u.a. zu Unrecht nach Nr. 03313 EBM 2000plus abgerechnet: Die Erbringung der Leistung nach Nr. 03313 EBM 2000plus sei - wie sich auch aus § 10 Abs. 1 der Notfalldienstordnung der Kassenärztlichen Vereinigung H1 (vom 16. Juni 2005, NDO) ergebe - nicht Aufgabe des Arztes im Notfalldienst. Weiterhin habe der Kläger - offenbar im Rahmen seiner regulären Praxistätigkeit - auch die Nrn. 01821 und 03351 EBM 2000plus zu Unrecht angesetzt: Er habe weder über die erforderliche Weiterbildung verfügt, noch habe er entsprechende Leistungen bereits vor dem 31. Dezember 2002 abgerechnet.
Mit Schreiben vom 5. September 2006 (eingegangen ...