Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausbehandlung. äußere Wendung in der 36. Schwangerschaftswoche nur bei Möglichkeit des gleichzeitigen Bereithaltens besonderer Mittel des Krankenhauses. Vorliegen einer vollstationären Behandlung

 

Orientierungssatz

Findet eine äußere Wendung in der 36. Schwangerschaftswoche in einem Krankenhaus nur statt, wenn ein Kreißsaal, ein daneben liegender OP-Saal und das für eine etwaige Notsectio erforderliche Personal bereitgehalten werden können, liegt eine vollstationäre Behandlung unabhängig von der Frage vor, ob beabsichtigt war, die Patientin über Nacht zu behandeln oder nach Abschluss des Versuchs zur äußeren Wendung ohne nachfolgendes Auftreten von Komplikationen noch am Aufnahmetag wieder zu entlassen.

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist ein Anspruch auf Vergütung wegen vollstationärer Krankenhausbehandlung bei geglückter äußerer Wendung nebst Aufwandspauschale.

Die Klägerin betreibt ein nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenes Krankenhaus, in dem die 1983 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte M.B. (im Folgenden: Versicherte) am 19. April 2013 behandelt wurde. Die sich zu diesem Zeitpunkt in der errechneten 36. Schwangerschaftswoche befindende Versicherte wurde am Vormittag gegen 10.30 Uhr zur Vornahme einer äußeren Wendung bei Beckenendlage des Fötus aufgenommen. Gegen Mittag wurde sie im Kreißsaal an das CTG (Gerät zur Aufzeichnung der Herzschlagfrequenz des ungeborenen Kindes und der Wehentätigkeit bei der werdenden Mutter, Kardiotokograf) angeschlossen und es erfolgte eine Tokolyse (Gabe wehenhemmender Medikation). Anschließend wurde ein Wendungsversuch beim ungeborenen Kind der Versicherten vorgenommen, der erfolgreich war. Nach Kontrolle der fetalen Herzfrequenz wurde die Versicherte noch am Nachmittag desselben Tages in ihre Häuslichkeit entlassen.

Am 29. April 2013 stellte die Klägerin der Beklagten für eine vollstationäre Behandlung der Versicherten insgesamt 698,37 EUR in Rechnung (Fallpauschale ≪ Diagnosis related group ≪≪DGR≫≫≫ O65C ≪ Andere vorgeburtliche stationäre Aufnahme ohne äußerst schwere oder schwere CC, ohne komplexe Diagnose, Schwangerschaftsdauer bis 25 oder mehr als 33 vollendete Wochen≫ mit Kurzliegerabschlag).

Die Beklagte zahlte den Betrag zunächst, teilte der Klägerin aber mit, dass sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung der Notwendigkeit stationärer Behandlung beauftragt habe. Dieser kam in seinem Gutachten vom 24. Oktober 2013 zu dem Ergebnis, dass zu keinem Zeitpunkt ein stationärer Behandlungsbedarf bestanden habe und eine Einbindung auf die Station nicht erfolgt sei. Zwar werde ein derartiger Eingriff wegen des zu hohen Risikos grundsätzlich nicht in ambulanten vertragsärztlichen Praxen durchgeführt, es bestehe jedoch eine Analogie zum ambulanten Operieren im Krankenhaus (AOP) mit mehrstündiger Überwachung im Bett auf der Station und der Möglichkeit zur stationären Aufnahme für den Fall des Auftretens von Komplikationen. Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) enthalte auch eine diesbezügliche Abrechnungsziffer.

Am 28. März 2014 verrechnete die Beklagte den vollen Betrag mit einer anderen, unstreitigen Forderung der Klägerin.

Die Klägerin hat am 26. August 2015 Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und beantragt, die Beklagte zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 698,37 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozent seit dem 28. März 2014 für die Krankenhausbehandlung sowie zur Zahlung der Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 Euro zu verurteilen.

Das Ungeborene habe sich in einer Beckenendlage befunden. Dies stelle eine Gefährdung sowohl für die Mutter als auch das Kind dar. Daher habe eine Indikation zur Vornahme einer äußeren Wendung vorgelegen. Der Eingriff bedürfe aufgrund seiner speziellen Risiken der Mittel eines Krankenhauses. Insbesondere könne es zu einem Abfall der Herztöne von Kind und/oder Mutter, zur Atemnot der Mutter bis hin zum Kreislaufstillstand, zur Plazentalösung, zum Plazentariss, zum Platzen der Fruchtblase oder zur Nabelschnurstrangulation des Kindes kommen. In diesen Fällen sei eine sofortige Intervention mit intensivmedizinischen und/oder chirurgischen Maßnahmen notwendig, um das Leben von Mutter und Kind zu erhalten. Daher müsse der Eingriff der äußeren Wendung zwingend unter Vorhaltung und Verfügbarkeit der intensivmedizinischen Ressourcen eines Krankenhauses unter stationären Bedingungen und durch speziell ausgebildete Ärzte durchgeführt werden und bedürfe der engmaschigen Überwachung. Ein rückblickend komplikationsloser Verlauf rechtfertige es nicht, die Aufnahmeentscheidung der Klägerin für null und nichtig zu erklären. Eine Abrechenbarkeit nach der GOÄ für Selbstzahler sei unerheblich. Weder finde sich die streitige Maßnahme im AOP-Katalog noch im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM). Die ...

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