Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Akupunkturleistungen durch einen Frauenarzt. keine Kompetenz der KV zur Erweiterung des einheitlichen Bewertungsmaßstabes. Aufhebung und Rücknahme von Genehmigungsbescheiden. Ermessen. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Bei einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist die Anwendung des § 48 Abs 1 S 1 SGB 10 nach dessen Sinn und Zweck ausgeschlossen, wenn und soweit der Vertrauensschutz des Betroffenen, wie er sich aus § 45 Abs 2 bis 4 SGB 10 ergibt, unterlaufen würde. Bei einem Verwaltungsakt, der zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen ist, findet deshalb grundsätzlich nur § 45 Abs 1 SGB 10 Anwendung.
2. Eine Genehmigung zur Erbringung von Akupunkturleistungen darf nur gegenüber Vertragsärzten erteilt werden, für die diese Leistungen nicht fachfremd sind. Dabei handelt es sich um eine allgemeine Genehmigungsvoraussetzung, die die ausdrücklich normierten Genehmigungsvoraussetzungen der Qualitätssicherungsvereinbarung Akupunktur ergänzt. Ein Vertragsarzt, der in unzulässiger Weise sein Fachgebiet überschreitet, kann für die insoweit erbrachte Leistung keine Vergütung verlangen.
3. Fachärzte für innere und Allgemein-Medizin und praktische Ärzte können Akupunkturleistungen unproblematisch berechnen. Die Erbringung und Abrechnung von Akupunkturleistungen ist einem Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe verwehrt (vgl BVerfG vom 16.7.2004 - 1 BvR 1127/01 = SozR 4-2500 § 135 Nr 2).
4. Bei den Akupunkturleistungen nach den Nrn 30790 und 30791 EBM-Ä (juris: EBM-Ä 2005) handelt es sich nicht um Leistungen, die keine fachspezifische Kompetenz erfordern. Leistungen der Körperakupunktur sind weder wesentlich noch prägend für das gynäkologische Fachgebiet.
5. Dieses Verständnis der Nrn 30790 und 30791 EBM-Ä ist mit dem Grundrecht aus Art 12 Abs 1 GG vereinbar.
6. Der Gesetzgeber hat mit § 87 Abs 1 S 1 SGB 5 die Kompetenz zur Festlegung des EBM-Ä abschließend dem Bewertungsausschuss zugewiesen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ist infolgedessen nicht berechtigt, eine vom EBM-Ä abweichende Erweiterung des abrechnungsfähigen Leistungsspektrums zu gestatten (vgl BSG vom 28.10.2009 - B 6 KA 22/08 R = SozR 4-2500 § 73 Nr 4).
7. Hat die KV einem Frauenarzt unzulässigerweise die Abrechnung von Akupunkturleistungen genehmigt, so ist der ergangene Bescheid nach § 45 Abs 1 S 1 SGB 10 aufzuheben. Dabei hat die KV Ermessen auszuüben.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 9. November 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Dezember 2008 aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der ihm zur Ausführung und Abrechnung von Akupunkturleistungen erteilten Genehmigung.
Der Kläger ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und nimmt mit dieser Facharztbezeichnung im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung H. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Er ist berechtigt, die Zusatzbezeichnung Akupunktur zu führen.
Aufgrund des Beschlusses des Bewertungsausschusses in seiner 119. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung) wurden mit Wirkung zum 1. Januar 2007 die Leistungen nach den Nrn. 30790 und 30791 neu in den seinerzeit gültigen Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgenommen (im Folgenden: EBM2005). Nr. 30790 EBM2005 erfasst die Eingangsdiagnostik und Abschlussdiagnostik zur Behandlung mittels Körperakupunktur gemäß der Qualitätsvereinbarung nach § 135 Abs. 2 SGB V bei chronischen Schmerzen der Lendenwirbelsäule oder chronischen Schmerzen eines oder beider Kniegelenke durch Gonarthrose. Nr. 30791 EBM2005 erfasst die Durchführung der Körperakupunktur und ggf. Revision des Therapieplans gemäß den Qualitätssicherungsvereinbarungen nach § 135 Abs. 2 SGB V zur Behandlung bei den genannten Indikationen.
Der Kläger, der an einem Modellvorhaben zur Akupunkturbehandlung mitgewirkt hatte, beantragte bei der Beklagten die Erteilung der zur Ausführung und Abrechnung von Akupunkturleistungen nach den Nrn. 30790 und 30791 EBM2005 erforderlichen Genehmigung. Diese wurde ihm mit Bescheid vom 14. Februar 2007, auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, mit Wirkung ab dem 1. Januar 2007 als "widerrufliche Genehmigung" erteilt.
Aufgrund des Beschlusses des Bewertungsausschusses in seiner 126. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung) wurde mit Wirkung zum 1. Juli 2007 die Präambel zu Abschnitt 30.7 EBM2005 (Schmerztherapie) um eine Nr. 4 ergänzt. Danach sind Leistungen nach den Nrn. 30790 und 30791 EBM2005 nur von Angehörigen bestimmter Arztgruppen berechnungsfähig. Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zählen nicht dazu.
Daraufhin "widerrief" die Beklagte mit Bescheid vom 2. September 2008, auf de...