Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen Todes aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Witwenrente. widerlegbare Vermutung. Versorgungsehe. kurze Ehedauer. Versorgungsabsicht. Kenntnis von einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI ist in der Regel nicht erfüllt, wenn eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung bekannt gewesen ist.
2. Eine in Kenntnis der tödlichen Erkrankung von den Eheleuten (zutreffend oder nicht) angenommene Lebenserwartung von zwei Jahren und mehr lässt in keiner Weise den Schluss zu, dass die Versorgungsabsicht nicht der überwiegende Zweck der Heirat war.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des am 27. August 2018 verstorbenen Versicherten der Beklagten T. (im Folgenden: Versicherter).
Die 1970 geborene Klägerin war seit dem 25. Juli 2018 mit dem 1967 geborenen Versicherten verheiratet. Der Versicherte hatte die allgemeine Wartezeit erfüllt.
Bei ihm war ausweislich eines Entlassungsberichtes der Klinik für Innere Medizin III des Klinikum Südstadt Rostock vom 4. Juli 2018 im Dezember 2017 die Erstdiagnose eines diffus großzelligen B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphoms im Stadium Ia intial gestellt worden. Nachdem sich in der Computertomographie trotz Chemotherapie (5 Zyklen R-CHOP) ein Progress gezeigt hatte, sei die Chemotherapie am 24. Mai 2018 abgebrochen worden; Im Rahmen der stationären Behandlung vom 12. Juni 2018 bis 5. Juli 2018 sei die Diagnose eines therapierefraktären Lymphoms (aktuell Stadium III B) gesichert und nach interdisziplinärer Tumorkonferenz am 19. Juni 2018 eine R-DHAP-Schema-Chemotherapie als Salvage-Therapie eingeleitet worden. Zu diesem Zeitpunkt wurde in einer zeitnahen allogenen Knochenmarktransplantation die einzige kurative Option gesehen und die Fremdspendersuche eingeleitet. Die Knochenmarkspende erhielt der Versicherte dann am 7. August 2018 in der Universitätsmedizin Rostock.
Nach eigenen Angaben der Klägerin waren sie und der Versicherte bereits seit 20 Jahren ein Paar. Mit notariellem Erbvertrag vom 27. April 2000 hatten sie sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Aus der Lebensgemeinschaft sind zwei, 2002 und 2006 geborene, Kinder hervorgegangen, für welche sie die elterliche Sorge gemeinsam ausgeübt haben. Das Vermögen der Eheleute umfasste zuletzt im Wesentlichen ein (schuldenfreies) Grundstück mit Einfamilienhaus. Der Versicherte bezog bereits seit 2012 eine Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund orthopädischer und neurologisch-psychiatrischer Befunde. Die Klägerin war seit 2010 in der KMG Klinik S. in P. a. S. als Mitarbeiterin an der Rezeption beschäftigt. Sie erzielte im September 2018 ein Bruttoeinkommen in Höhe von 1.583,82 EUR, im Jahr 2017 insgesamt 19.166,28 EUR. Für sie bestanden diverse Versicherungen, u. a. Kapitalversicherungen mit garantierten Ablaufleistungen zum 01. August 2024 in Höhe von 20.350,14 EUR und zum 01. November 2030 in Höhe von 15.366 EUR.
Mit Bescheid vom 21. September 2018 bewilligte die Pflegekasse des Versicherten rückwirkend ab dem 5. Juli 2018 Leistungen nach Pflegegrad 2.
Den Witwenrentenantrag der Klägerin vom 10. Oktober 2018 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Dezember 2018 und Widerspruchsbescheid vom 5. September 2019 im Hinblick auf die kurze Dauer der Ehe ab. Der Gesetzgeber unterstelle, dass das Ziel der Heirat die Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung gewesen sei (Versorgungsehe), wenn ein Ehegatte vor Ablauf eines Jahres nach Eheschließung versterbe. Diese gesetzliche Vermutung sei durch besondere Umstände widerlegbar, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen ließen. Die Lebenspartnerschaft habe in diesem Fall mindestens seit 2001 bestanden, zu der seit 2002 und 2006 die minderjährigen Kinder gehörten. Sollte das Motiv der Eheschließung die Legitimierung der Verhältnisse und die Sicherung der Betreuung der Kinder gewesen sein, hätte die Eheschließung bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen müssen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die über die Jahre für ausreichend gehaltene Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann gerade einen Monat vor seinem Tod als standesamtliche Ehe rechtlich abgesichert worden sei. Die Pflegebedürftigkeit sei erst posthum festgestellt worden. Insofern könne auch nicht von einer sogenannten Pflegeehe ausgegangen werden. Die Klägerin sei in der Lage, ihren Lebensunterhalt auch ohne den Erhalt der Witwenrente aus eigenen Einkünften zu bestreiten. Dies stehe der Annahme einer Versorgungsehe aber nicht entgegen. Bei Gewährung einer Witwenrente würde sich trotz Anrechnung eigener Einkünfte auf diese Leistung eine wirtschaftliche Besserung für die Klägerin ergeben. Die Ernsthaftigkeit der mehrjährigen Beziehu...