Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Diabetes mellitus. neue Empfehlungen des Deutschen Vereins. antizipiertes Sachverständigengutachten. rückwirkende Anwendung auch vor dem 1.10.2008. keine Orientierungshilfe
Leitsatz (amtlich)
Im Falle eines Diabetes mellitus bedarf es aus medizinischen Gründen keiner kostenaufwändigen Ernährung, da nach einhelliger medizinischer Auffassung Vollkost empfohlen wird, die nicht mit Mehrkosten verbunden ist. Für diese Feststellung sind keine einzelfallbezogenen Ermittlungen erforderlich. Den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen von 2008 kommt auch für Streitzeiträume vor ihrer Veröffentlichung die Rechtsnatur eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu.
Orientierungssatz
Soweit bereits die vom Deutschen Verein 1997 herausgegebene 2. Auflage der "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe", in Übereinstimmung mit neueren Publikationen und auch für bestimmte Erkrankungen keinen Mehrbedarf vorsahen, hat es nach Auffassung des Senats bei ihrer Einstufung als antizipiertes Sachverständigengutachten und nicht als bloße Orientierungshilfe zu verbleiben.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Rostock vom 20. März 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind höhere Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), insbesondere ein geltend gemachter Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bei Diabetes mellitus im Zeitraum vom 01. Oktober 2007 bis zum 31. März 2008.
Der 1960 geborene, erwerbsfähige Kläger bezieht seit dem 01. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von der Beklagten, die ihm zuletzt mit Bescheid vom 08. März 2007 für den Zeitraum bis zum 30. September 2007 Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung i.H.v. 51,13 monatlich bewilligte. Die Gesamtleistung betrug nach Anpassung der Regelleistung zum 01. Juli 2007 gemäß Änderungsbescheid vom 02. Juni 2007 monatlich 633,13 EUR (Regelleistung 347,00 EUR, Mehrbedarf, Kosten der Unterkunft und Heizung 235,00 EUR). An Kosten der Unterkunft berücksichtigte die Beklagte entsprechend einem vom Kläger bei Erstantragstellung vorgelegten Untermietvertrag mit seiner 1996 geschiedenen ehemaligen Ehefrau die vereinbarte Kaltmiete in Höhe von 195,00 sowie den pauschalen Neben- und Heizkostenanteil in Höhe von 40,00 EUR monatlich.
Anlass für die Gewährung eines Ernährungsmehrbedarfs war eine vom Kläger mit seinen ursprünglichen Antragsunterlagen eingereichte ärztliche Bescheinigung der Hausärztin Dr. L vom 29. Oktober 2004. In dem Formular ist die Körpergröße des Klägers mit 183 cm, sein Gewicht mit 114 kg angegeben, als Erkrankung wurde durch Ankreuzen des entsprechenden Feldes "Diabetes mellitus Typ IIa" bezeichnet.
Auf einen Fortzahlungsantrag des Klägers vom 30. August 2007, mit welchem Änderungen der Verhältnisse verneint wurden, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 05. September 2007 für die Zeit vom 01. September 2007 bis zum 31. März 2008 nur noch 582,00 EUR monatlich. Einen ernährungsbedingten Mehrbedarf berücksichtigte sie ohne Begründung nicht mehr.
Hiergegen erhob der Kläger am 02. Oktober 2007 Widerspruch. Sein Diabetes sei nur schwer einstellbar, weshalb er ganz besonders auf eine ausgewogene Reduktionskost angewiesen sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2007 mit der Begründung zurück, dass eine Diabetes-Erkrankung nach derzeitiger medizinischer Einschätzung keine Mehrkosten verursache.
Hiergegen hat der Kläger am 20. Dezember 2007 Klage beim Sozialgericht Rostock erhoben. Zur Begründung hat er sich auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. (DV) für die Gewährung von Krankenkostzulagen berufen und vorgetragen, bereits seit 2004 an einem Diabetes mellitus Typ IIb zu leiden. Ausweislich einer Kopie seines Diabetiker-Ausweises wurde seine Erkrankung seinerzeit medikamentös (mit Metformin) behandelt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 05. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2007 zu verurteilen, ihm ab dem 01. Oktober 2007 einen monatlichen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 54,71 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Empfehlungen des DV aus dem Jahre 1997, die für Typ I- und Typ IIa-Diabetiker eine Krankenkostzulage in Höhe von monatlich 51,13 EUR empfehlen, seien veraltet. Nach dem aktuellen medizinisch-ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisstand, der sich in den Angaben des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner, der Diabetes Gesellschaft Deutschland und der Deutschen Diabetologischen Gesellschaft widerspiegele, sei eine...