Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. geringer Streitwert des Ausgangsverfahrens. besondere Bedeutung von existenzsichernden Leistungen. Absenkung der Entschädigungspauschale auf 10 Euro pro Monat. Angemessenheitsprüfung. gerichtliche Aktivitätszeit. Aktivmonat. Aktenanforderung. Aktenversendung. Hinweisschreiben und Erinnerung
Orientierungssatz
1. Der geringe Streitwert des Ausgangsverfahrens (hier von knapp 11 Euro) kann dazu führen, dass die Entschädigungspauschale nach § 198 Abs 2 S 3 GVG von 100 Euro pro Monat auf 10 Euro abgesenkt wird (Abgrenzung zu BSG vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 11/13 R = BSGE 118, 102 = SozR 4-1720 § 198 Nr 9).
2. Jedenfalls wenn es um existenzsichernde Leistungen geht, rechtfertigt ein nur geringer Streitwert des Ausgangsverfahrens (hier: 11 Euro) grundsätzlich nicht die Annahme, dass es sich damit um einen Rechtsstreit handelt, der für den Entschädigungskläger keine besondere Bedeutung hat.
3. Dass eine andere Sichtweise geboten ist, mithin eine Feststellung der Überlänge des Ausgangsverfahrens ausreichend ist, wenn im Ausgangsverfahren um einen Betrag im Cent-Bereich oder von nur wenigen Euro gestritten wird, hält der Senat für möglich, wobei es jedoch immer auf die Umstände des Einzelfalles ankommen dürfte.
4. Die Anforderung der Verwaltungsakten vom Beklagten des Ausgangsverfahrens bzw der Zweitschriften von Bescheiden, die Fertigung von gerichtlichen Hinweisschreiben oder Erinnerungen an die Beteiligten auf eine Reaktion zu gerichtlichen Hinweisschreiben oder die Aktenversendung an andere Gerichte lösen Aktivitätszeiten des Gerichts aus.
Nachgehend
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1. für das verzögerte Klageverfahren vor dem Sozialgericht Neubrandenburg S 15 AS 1165/15 WA - S 7 AS 815/10 eine Entschädigung in Höhe von 430,00 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerinnen und der Beklagte tragen jeweils die Hälfte der Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Der Streitwert wird auf 3.225,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist eine Entschädigung wegen einer überlangen Dauer des Verfahrens S 7 AS 815/10 (verbunden mit S 7 AS 816/10) vor dem Sozialgericht (SG) Neubrandenburg.
Die 1982 geborene Klägerin zu 1 ist die Mutter der am 20. Juni 2009 geborenen Klägerin zu 2, mit der sie eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Die Klägerin zu 1 bezog im Jahr 2009 Leistungen nach dem SGB II von dem Beklagten des Ausgangsverfahrens. Streitig war die Höhe der Leistungen für den Monat Oktober 2009.
Am 3. Mai 2010 erhob die Klägerin zu 2, zum damaligen Zeitpunkt gesetzlich vertreten durch die Klägerin zu 1, Klage beim SG Neubrandenburg (S 7 AS 816/10). Mit der Klage wandte sich die Klägerin zu 2 gegen den Rücknahmebescheid des Beklagten des Ausgangsverfahrens vom 24. November 2009, in welchem dieser die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Klägerin zu 2 für den Monat Oktober 2009 in Höhe von 227,20 € zurückgenommen hatte. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin zu 2 sei vom Leistungsanspruch ausgeschlossen gewesen, da diese in der Zeit vom 19. Juli bis 31. Oktober 2009 in einer Pflegefamilie gelebt habe. Eine Erstattung nach § 50 SGB X durch die Klägerin zu 1 sei nicht erforderlich, da durch die Neuberechnung des Leistungsanspruchs der Klägerin zu 1 für den Monat Oktober 2009 sich für diese ein Anspruch in Höhe von nunmehr 724,31 € ergebe. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31. März 2010). Mit der Klage verfolgte die Klägerin zu 2 die Aufhebung der vorgenannten Bescheide und beantragte gleichzeitig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten. In der Klageschrift hieß es, die Klage werde fristwahrend erhoben. Eine ausführliche Begründung erfolge nach Akteneinsicht. Nachdem das SG von dem Beklagten des Ausgangsverfahrens die Verwaltungsakten angefordert hatte, verband es mit Beschluss vom 13. Oktober 2010 die Rechtsstreitigkeiten S 7 AS 815/10 und S 7 AS 816/10 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Führung des Aktenzeichens des erstgenannten Verfahrens.
Das Verfahren S 7 AS 815/10 vor dem SG Neubrandenburg gestaltete sich wie folgt:
Am 3. Mai 2010 erhob die Klägerin zu 1 Klage beim SG Neubrandenburg, mit der sie sich gegen den Bescheid des Beklagten des Ausgangsverfahrens vom 24. November 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2010 wandte und beantragte, ihr Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Höhe zu bewilligen. Die Klage werde fristwahrend erhoben, eine ausführliche Begründung erfolge nach Akteneinsicht. Nachdem das SG die Verwaltungsakten von dem Beklagten das Ausgangsverfahrens angefordert und der Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht gewährt hatte, erinnerte das SG Ende August 2010 die Prozessbevollmächtigte an die Begründung der Klage. Mit Beschluss vom 13. Oktober 2010 ver...