Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. sozialgerichtliches Verfahren. unangemessene Verfahrensdauer. eigenes Prozessverhalten des Klägers. Zeit bis zur angekündigten Klagebegründung und Klagekonkretisierung keine Passivzeit. Erinnerung des Gerichts nicht erforderlich. unverzügliche Klageerhebung nach PKH-Entscheidung. fast ein Monat später nicht mehr rechtzeitig. keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Orientierungssatz

1. Die Zeit, in welcher der Kläger nach Einreichung der Klage und Ankündigung einer Klagebegründung seine Klage nicht begründet und sein Klagebegehren nicht konkretisiert, ist bei der Bemessung der unangemessenen Verfahrensdauer nach § 198 Abs 1 S 2 GVG nicht dem Gericht anzulasten - und zwar auch dann nicht, wenn seitens des Gerichts keine Erinnerung erfolgt.

2. Eine Entschädigungsklage, die fast einen Monat nach Zustellung der PKH-Entscheidung erhoben wurde, ist nicht mehr "unverzüglich" iS der Rechtsprechung zur Einhaltung der Klagefrist nach § 198 Abs 5 S 2 GVG bei erforderlichen PKH-Verfahren (vgl BSG vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 1/17 R = SozR 4-1710 Art 23 Nr 5).

3. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 67 Abs 1 SGG nur für den Fall der Versäumung einer gesetzlichen Verfahrensfrist, nicht aber einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist möglich.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 02.08.2018; Aktenzeichen B 10 ÜG 2/18 B)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Entschädigung wegen einer überlangen Dauer des Verfahrens S 11 AS 59/12 vor dem Sozialgericht (SG) Neubrandenburg.

Die 1984 geborene Klägerin (zu 1) ist die Mutter ihrer 2002 geborenen Tochter (Klägerin zu 3) und ihres 2006 geborenen Sohnes (Kläger zu 2), mit denen sie im Jahr 2009 eine Bedarfsgemeinschaft bildete.

Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 3. Februar 2009 bewilligte das Jobcenter den Klägern Leistungen für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2009. Auf den Überprüfungsantrag der Klägerin erließ das Jobcenter den Bescheid vom 20. Oktober 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2011, gegen den die Kläger am 12. Januar 2012 Klage beim SG Neubrandenburg erhoben. Es wurde beantragt, den Klägern Leistungen nach dem SGB II in der gesetzlichen Höhe zu bewilligen. Die Klage werde fristwahrend erhoben, es werde Akteneinsicht beantragt.

Im Februar 2012 erhielt die Prozessbevollmächtigte der Kläger Akteneinsicht in die Verwaltungsakten, im März wurden die Verwaltungsakten vom SG an das Jobcenter zwecks Aktualisierung zurückgesandt. Die vervollständigten Verwaltungsakten des Jobcenters gingen am 25. Mai 2012 beim SG wieder ein.

Am 17. Juli 2015 erhoben die Kläger Verzögerungsrüge. Mit Schreiben vom 28. Juli 2015 forderte das SG die Prozessbevollmächtigte der Kläger unter Fristsetzung zur Begründung der Klage auf und erinnerte die Prozessbevollmächtigte der Kläger im Oktober 2015 an diese. Nachdem eine Klagebegründung ausgeblieben war, lehnte das SG mit Beschluss vom 15. Oktober 2015 den eingangs mit der Klage gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) mangels Erfolgsaussicht der Klage ab.

Nachdem das SG mit Schreiben vom 23. Mai 2016 zum Erlass eines Gerichtsbescheides angehört hatte, wies es mit Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2016 die Klage ab. Der Gerichtsbescheid wurde der Prozessbevollmächtigten der Kläger am 22. Juli 2016 zugestellt.

Am 23. Januar 2017 beantragten die Kläger beim Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern die Bewilligung von PKH für eine beabsichtigte Entschädigungsklage des vorgenannten Klageverfahrens. Jedem der drei Kläger stehe eine Entschädigung in Höhe von mindestens 4.000 ,00 € zu, da jeder der Kläger einen eigenen Entschädigungsanspruch habe, hilfsweise werde beantragt festzustellen, dass das Klageverfahren vor dem SG Neubrandenburg S 11 AS 59/12 unangemessen lange gedauert habe. Unter Zugrundelegung einer unangemessen Verfahrenszeit von mindestens 40 Monaten ergebe sich unter Berücksichtigung der Regelentschädigung von 100,00 € pro Monat die in Ansatz gebrachten Mindestentschädigungen.

Mit Beschluss vom 1. August 2017 hat der Senat den Klägern für die beabsichtigte Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer des Gerichtsverfahrens S 11 AS 59/12 (SG Neubrandenburg) von 25 Monaten Prozesskostenhilfe für einen Anspruch in Gesamthöhe von 5.000,00 € gewährt und im Übrigen die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Dieser Beschluss ist der Prozessbevollmächtigten der Kläger am 8. August 2017 zugestellt worden.

Am 7. September 2017 haben die Kläger Entschädigungsklage beim LSG erhoben. Im Hinblick auf eine überlange Dauer des Klageverfahrens vor dem SG Neubrandenburg (S 11 AS 59/12) bestehe ein Entschädigungsanspruch der Klägerin zu 1) in Höhe von mindestens 2.500,00 € und für den Kläger zu 2) sowie für die Klägerin zu 3) in Höhe von jeweils mindestens 1.250,00 €. Das Ausgangsverfahren habe unangemessen lan...

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