Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. lange Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens. Vorbereitungs- und Bedenkzeit für das Berufungsgericht. subjektive Betroffenheit des Opfers bei unangemessener Dauer von Opferentschädigungsklagen. Berechnung schädlicher Liegezeiten. Wartezeiten des Gerichts. Warten auf erweiterte Klagebegründung. Zeiten der Erstellung von Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen der Sachverständigen. Aktenanforderung und Aktenübersendung. Frist für die Beteiligten zur möglichen Stellungnahme. Zeit für Absetzung und Zustellung eines verkündeten Urteils. sozialgerichtliches Verfahren. Ausschluss eines Richters wegen Mitwirkung am Ausgangsverfahren. Umfang der Verfahrensbeteiligung
Orientierungssatz
1. Dem Berufungsgericht kann auch dann eine volle Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten eingeräumt werden, wenn das Verfahren in der Vorinstanz zwar sehr lange gedauert hat (hier: 6 Jahre und 4 Monate), aber nicht in zu entschädigender Weise verzögert gewesen ist.
2. Die subjektive Vorstellung des Klägers, sich durch die überlange Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens im Bereich der Opferentschädigung weiter als Opfer zu fühlen, rechtfertigt nicht, den gesetzlich vorgesehenen Regelbetrag von 100 Euro pro Monat heraufzusetzen.
3. Hat das Gericht den Kläger wiederholt zur Einreichung einer weiteren Klagebegründung aufgefordert, muss es sich die durch das Zuwarten auf die angekündigte weitere Klagebegründung verstrichene Zeit (hier: über 1 Jahr) nicht zurechnen lassen.
4. Gleiches gilt für die Zeit des Wartens auf Gutachten und ergänzende Stellungnahmen von Sachverständigen, wenn das Gericht durch Sachstandsanfragen, Fristsetzungen und Androhung der Vernehmung des Gutachters auf die baldige Erstellung der Gutachten hingewirkt hat (hier: insgesamt etwa 3,5 Jahre).
5. Zeiträume, in denen das Berufungsgericht Akten angefordert oder die Akten dem SG auf dessen Anforderung hin zur Verfügung gestellt hat, sind nicht den schädlichen Liegezeiten hinzuzurechnen.
6. Nach der Übermittlung einer ergänzenden Stellungnahme eines Sachverständigen an die Beteiligten kann das Gericht eine Frist von 6 Wochen zur möglichen schriftsätzlichen Stellungnahme der Beteiligten in Abzug bringen, bevor eine schädliche Liegezeit zu laufen beginnt.
7. Erfolgt die Absetzung und Zustellung des Urteils noch innerhalb von zwei Monaten nach Verkündung, hält sich dies im Hinblick auf § 134 Abs 2 S 1 SGG noch im entschädigungsrechtlich unschädlichen zeitlichen Rahmen.
8. Eine Mitwirkung eines Richters an einem vorangegangenen Ausgangsverfahren im Sinne des § 41 Nr 7 ZPO ist aus Gründen der Rechtsklarheit bei jedweder Tätigkeit des Richters in der Gerichtsakte während der Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens zu bejahen (hier: Abzeichnung der Standard-Eingangsverfügung).
Nachgehend
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 13. März 2013 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 85 % und der Beklagte zu 15 %.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Entschädigung von Nachteilen durch die überlange Dauer eines mehr als 11-jährigen Gerichtsverfahrens bei dem SG B-Stadt (Az.: S 6 VE 3/02) und dem LSG Mecklenburg-Vorpommern (L 3 VE 22/08) über Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die 1955 geborene Klägerin wurde seit ihrem 13. Lebensjahr von ihrem Vater sexuell missbraucht. Aus dieser Inzestbeziehung ging die 1979 geborene und 2003 verstorbene Tochter S. hervor. Die Tochter war schwerstbehindert mit einem anerkannten Grad der Behinderung (GdB) von 100, unter anderem auf Grund geistiger Behinderung mit spastischen Lähmungen, Anfallsleiden sowie Blindheit. S. erhielt von dem Beklagten des Ausgangsverfahrens Versorgung nach dem OEG ab 01. Juni 1998.
Am 02. April 1990 unternahm die Klägerin gemeinsam mit ihrem Kind einen Suizidversuch. Die Klägerin wurde wegen dieser Tat durch Urteil des Bezirksgerichts B-Stadt vom 26. Juli 1990 wegen versuchten Totschlages zu einer 1-jährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.
Die Klägerin beantragte am 09. Juni 1998 Leistungen nach dem OEG wegen des langjährigen sexuellen Missbrauches durch ihren Vater. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens zog medizinische Unterlagen über die Klägerin bei und veranlasste ein nervenärztliches Gutachten des Dr. L. vom 27. Juli 1999, der bei der Klägerin eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung diagnostizierte. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 08. September 1999 führte Dr. L. aus, dass bei der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten von einer Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit von derzeit 80 v. H. auszugehen sei. In ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21. September 1999 führte Dr. E. aus, es werde vorge...