Entscheidungsstichwort (Thema)

Klärung der Zuständigkeit für Hörgeräteversorgung. erstangegangener Rehabilitationsträger. Leistungen zur Teilhabe

 

Orientierungssatz

Die maßgebliche Erstantragstellung kann rechtlich gleichwertig bereits in der Übergabe einer vertragsärztlichen Hörgeräteverordnung an den Hörgeräteakustiker oder erst in dessen Versorgungsanzeige bei der Krankenkasse bzw in der Antragstellung beim Rentenversicherungsträger liegen. Sind die tatsächlichen Voraussetzungen aller drei Möglichkeiten erfüllt, sind sie nach Maßgabe ihrer zeitlichen Priorität gegeneinander abzugrenzen (vgl BSG vom 30.10.2014 - B 5 R 8/14 R = BSGE 117, 192 = SozR 4-1500 § 163 Nr 7).

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 11. September 2015 geändert. Die Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin 2.510,00 € für die Anschaffung von zwei Hörgeräten KINDspectra HS im Jahre 2009 zu erstatten.

2. Die Beigeladene trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Rechtszüge; im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten in Höhe von 2.510,00 € für zwei von der Klägerin selbst beschaffte digitale Hörgeräte.

Die 1951 geborene Klägerin leidet an einer beidseitigen kombinierten Schwerhörigkeit mit Tinnitus. Am 29. November 2007 stellte ihr die Fachärztin für HNO-Krankheiten DM G. erstmalig eine ohrenärztliche Verordnung einer beiderseitigen Hörhilfe aus. Die Klägerin suchte die Firma KIND Hörgeräte in N. auf. Der Hörgeräteakustiker erstellte am 9. Januar 2008 einen Kostenvoranschlag über zwei Hörgeräte KINDspectra HS über einen Gesamtbetrag von 3.728,68 € (Anteil der Krankenkasse 1.198,68 €, Anteil der Klägerin 2.530,00 €). Ebenfalls unter dem 9. Januar 2008 wurde ein weiterer Kostenvoranschlag für zwei Hörgeräte KINDepoq XW über einen Gesamtbetrag von 5.708,70 € unterbreitet (Anteil der Krankenkasse 1.198,70 €, Anteil der Klägerin 4.510,00 €). Ab dem 1. Februar 2008 begann die Klägerin, mehrere Hörgeräte auszutesten.

Am 31. März 2008 beantragte sie bei der Beklagten die Bewilligung von zwei Hörgeräten als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Sie gab an, aus beruflichen Gründen, insbesondere beim Telefonieren, auf ein gutes Hörvermögen angewiesen zu sein. Im Laufe des Verfahrens überreichte die Klägerin den Befundbericht der DM G. vom 10. April 2008, den Kostenvoranschlag der Firma KIND Hörgeräte vom 9. Januar 2008 über den Gesamtbetrag von 5.708,70 € sowie das Hörprotokoll des Hörgeräteakustikers vom 9. Mai 2008. Hierin hieß es, das Sprachverstehen habe ohne Hörgerät 50 % betragen. Bei der Durchführung von Störschallmessungen bei 65 dB Nutz- und 60 dB Störschall habe die Klägerin mit dem Hörgerät KINDepoq HS XW auf dem linken Ohr 90 % verstanden, bei der stereophonen Versorgung habe sich die Verständlichkeit im Störschall um 10 % auf 100 % verbessert. Bei der durchgeführten Messung mit dem eigenanteilsfreien Hörgerät KINDassista HS sei die Klägerin nur auf ein Sprachverstehen von 50 % gekommen.

Mit Bescheid vom 16. Juni 2008 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die Klägerin erfülle die persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI nicht. Ein höherwertiges Hörgerät sei für besondere Höranforderungen im Berufsbild einer Angestellten bei der Rentenversicherung nicht erforderlich. Zum Ausgleich der Hörminderung sei die Versorgung mit geeigneten Hörgeräten durch die Krankenversicherung ausreichend.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch mit der Begründung ein, sie sei auf die Hörgeräte aus beruflichen Gründen angewiesen, um ihre Arbeitsaufgabe in guter Qualität weiterhin erledigen zu können. Sie fügte eine Beschreibung ihrer Arbeitsaufgaben ihres Arbeitgebers vom 8. Juli 2008 bei. Hierin hieß es, die Klägerin sei bei der D. als Mitarbeiterin im Bereich bargeldloser Beitragseinzug eingesetzt. Dies beinhalte ein häufiges Telefonieren mit den Versicherten sowie das Entgegennehmen von Anrufen der Versicherten und deren telefonische fachliche Beratung. Der Arbeitsplatz der Klägerin befinde sich in einem Großraumbüro. Mit dem eigenanteilsfreien Hörgerät KINDassista HS werde laut Messung der Firma KIND Hörgeräte (siehe Anlage) ein Sprachverstehen von 50 % erreicht. Dieses sei aus berufspraktischer Sicht vollkommen unzureichend. Die Klägerin benötige ein höherwertigeres Hörgerät, um die tägliche Aufgabenerfüllung zu gewährleisten. Übersandt wurde ein weiteres Hörprotokoll des Hörgeräteakustikers vom 23. Juni 2008 bzgl. u. a. des Hörgerätes KINDspectra HS, mit dem unter Störschallbedingungen sowohl rechts als auch links eine Verständlichkeit von 90 % und stereophon von 100 % erreicht worden sei, während das eigenanteilsfreie Hörgerät (KINDassista HS) nur ein Sprachverstehen von 50 % erbracht habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 33 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX umfassten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch sonstige...

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