Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Krankenversicherung. Abgrenzung des Umfangs der Leistungspflicht bei Hilfsmittelversorgung (hier: Hörgerät). Hörgeräteakustiker als Erfüllungsgehilfe der Krankenkasse
Leitsatz (amtlich)
1. Die Versorgungsanzeige des Akustikers gegenüber der Krankenkasse, die dieser namens und im Auftrag des Versicherten mit der Bitte um Bewilligung einreicht, ist als Sozialleistungsantrag zu bewerten, der mit Eingang bei der Krankenkasse anhängig ist. Darauf, ob dieser Antrag "vollständig" war und ob die Krankenkasse diesem Antrag entnehmen konnte, dass eine über den Festbetrag hinausgehende Versorgung begehrt war, kommt es nicht an, weil diese mit der Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers unmissverständlich davon unterrichtet wird, dass der Versicherte eine Versorgung mit Hörgeräten wünscht und sich der Umfang der Hörgeräteversorgung nicht nach dem Antrag, sondern nach Maßgabe der rechtlichen Bestimmungen richtet (§ 40 Abs. 1 SGB I).
2. Der Hörgeräteakustiker ist zwar beauftragter Leistungserbringer der Krankenkasse, jedoch keine zur Entgegennahme von Sozialleistungsanträgen befugte Stelle (§ 16 Abs. 1 Satz 2 SGB 1). Die Übergabe der ohrenärztlichen Verordnung durch den Versicherten an den Hörgeräteakustiker kann daher nicht bereits als Eingang des Antrages auf Hilfsmittelgewährung gegenüber der Krankenkasse gewertet werden. Erst die Weiterleitung des Hilfsmittelbegehrens durch den Hörgeräteakustiker namens und im Auftrag des Versicherten an die Krankenkasse stellt den Eingang des Leistungsantrages bei einem Sozialleistungsträger dar.
3. Die Abgrenzung des Umfangs der Leistungspflicht zwischen der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung im Bereich von geltend gemachten Teilhabeleistungen richtet sich danach, ob das begehrte Hilfsmittel - hier das Hilfsmittel Hörhilfe - dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient (Leistungspflicht der Krankenversicherung) oder ausschließlich berufliche und arbeitsplatzspezifische Gebrauchsvorteile bietet (Leistungspflicht der Rentenversicherung).
4. Telefonate, Mehrpersonengespräche und Verständigungen unter Störgeräuschen gehören nahezu zu jeder beruflichen Tätigkeit; Störschall tritt auch in vielen Bereichen des täglichen Lebens, sei es im Straßenverkehr, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Einkaufs- und kulturellen Einrichtungen auf. Diese Umstände begründen daher regelmäßig kein spezifisch ausschließlich aus beruflich bedingten Gründen bestehendes Erfordernis auf eine Hörgeräteversorgung, wie es etwa bei akustischen Kontroll- oder Überwachungsarbeiten oder beim feinsinnigen Unterscheiden zwischen bestimmten Tönen und Klängen gegeben ist.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. März 2011 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder als Krankenbehandlung die Kosten für zwei digitale Mehrkanalhörgeräte mit Störschallunterdrückung, Spracherkennung und weiteren zahlreichen Zusatzfunktionen in Höhe von 5.209,84 Euro abzüglich des von der Krankenkasse bereits geleisteten Festbetrages zu Vertragsarztpreisen in Höhe von 1.212,80 Euro und abzüglich des gesetzlichen Zuzahlungsbetrages in Höhe von 20,00 Euro, mithin einen Betrag in Höhe von 3.997,04 Euro, zu erstatten.
Die Klägerin ist seit 1997 Trägerin von Hörgeräten. Sie arbeitet seit Februar 1997 im berufsständischen Versorgungswerk der Sächsischen Landesärztekammer in D…. Sie wurde im Juni 1999 als stellvertretende Leiterin der Abteilung Melde-, Beitrags- und Leistungswesen eingesetzt. Seit Juli 2007 ist sie Abteilungsleiterin in diesem Bereich. In dieser Funktion obliegt ihr die Anleitung und Schulung sowie Dienstberatung der unterstellten, insgesamt 15 Mitarbeiter. Sie trifft telefonische und innerdienstliche Absprachen mit den berufsständischen Versorgungseinrichtungen, nimmt an den Kammerversammlungen der Sächsischen Landesärztekammer teil, gestaltet regelmäßig Workshops mit anderen Versorgungseinrichtungen und führt zahlreiche Dienstberatungen mit der Geschäftsführung durch.
Nachdem ihre bis zum Jahr 2007 genutzten Hörgeräte nicht mehr hinreichend funktionierten, begab sie sich im Januar 2008 zum Hörgeräteakustik-Meister Dipl.-Ing. D…. Dieser zeigte gegenüber der beigeladenen Krankenkasse am 8. Februar 2008 an, dass die Klägerin auf eine erneute beidohrige Versorgung mit Hörgeräten angewiesen sei und legte die entsprechenden ton- und sprachaudiometrischen Messergebnisse vor. Die entsprechende ohrenärztliche Verordnung verschaffte sich die Klägerin am 21. April 2008 bei Dr. P… (Fachärztin für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde). Anschließend testete sie beim Hörgeräteakustik-Meister im Zeitraum zwischen Januar und November 2008 verschiedene Hörgerätesysteme, darunter zwei Systeme zu Festbeträgen bzw. zu Vertragsarz...