Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Ersatzbeschaffung für einen Elektrorollstuhl
Orientierungssatz
1. Bei der Ersatzbeschaffung für ein Hilfsmittel müssen sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 33 SGB 5 ebenso erfüllt sein wie bei der Erstbeschaffung.
2. Wesentliches Ziel der Hilfsmittelversorgung ist es, dass behinderte Menschen von der Hilfe anderer Menschen deutlich weniger abhängig werden. Die Leistungen sollen den Leistungsberechtigten möglichst viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände lassen und ihre Selbstbestimmung fördern.
3. Ein Aktivrollstuhl mit E-Fix ist bei einem Rollstuhlpflichtigen geeignet, dessen unzureichende Eigenständigkeit der Fortbewegung innerhalb und außerhalb der Wohnung zu verhindern und eine möglichst selbständige Lebensführung aufrecht zu erhalten. Deshalb ist er im Wege der Ersatzbeschaffung einem Rollstuhlpflichtigen zur Verfügung zu stellen.
4. Dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit wird dadurch Rechnung getragen, dass ein E-Fix als Elektro-Antrieb nach dem Erstgebrauch auch von anderen Versicherten wiederverwendet werden kann.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 21. Mai 2008 wird geändert.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Antragstellerin für den von ihr genutzten Aktivrollstuhl mit einem E-Fix-Antrieb zu versorgen. Die Verpflichtung gilt vorläufig und bis zum Abschluss des vor dem Sozialgericht Hannover zwischen den Beteiligten anhängigen Hauptsache-Verfahrens unter dem Az S 44 KR 589/07.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (Ast) begehrt von der Antragsgegnerin (Ag) im Wege einstweiligen Rechtsschutzes für den ihr von der Ag vor mehreren Jahren gestellten Faltrollstuhl (= Aktivrollstuhl) - nach einem entsprechenden technischen Defekt - die Ersatzbeschaffung des elektrischen Radnabenantriebs (“E-Fix„), den die Ag - ebenfalls vor mehreren Jahren - der Ast für den Faltrollstuhl gestellt hatte.
Die im Jahre 1974 geborene Ast, die bei der Ag gesetzlich krankenversichert ist, leidet an einer sog. Friedreichschen Ataxie. Dabei handelt es sich um eine Kleinhirn-Rückenmark-Erkrankung mit Störung der Bewegungsabläufe, Störung der Oberflächen- und Tiefensensibilität, dem Entstehen eines Nystagmus, einer Sprachstörung sowie einer Spastik. Der Verlauf der Erkrankung ist stets progredient, so auch bei der Ast, die seit dem Jahre 1992 rollstuhlpflichtig ist und seit dem Jahre 2003 sich nicht mehr stabil sitzend halten kann. Die Ast ist seit dem Jahre 1999 in die Pflegestufe II, seit 2001 in die Pflegestufe III eingestuft.
Von der Ag wurde die Ast (außer mit weiteren Hilfsmitteln) im März 2002 mit einem Elektrorollstuhl (E-Rollstuhl) (Versorgungspauschale für 5 Jahre), im März 2004 mit einem Aktivrollstuhl (Faltrollstuhl) sowie - vorliegend maßgeblich - im Juni 2006 mit einem E-Fix (ebenfalls Versorgungspauschale für fünf Jahre) ausgestattet (Bl. 25 der Verwaltungsakte).
Der E-Fix, der zum Zeitpunkt der Versorgung (Juni 2006) bereits 15 Jahre alt war, wurde schnell störanfällig und musste häufig durch den Lieferanten (Sanitätshaus) repariert werden. Im Jahre 2007 vermochte der Lieferant keine Ersatzteile mehr für den Motor zu liefern.
Auf den im Jahre 2007 gestellten Antrag der Ast auf Kostenübernahme für einen neuen E-Fix für den vorhandenen Faltrollstuhl ermittelte die Ag zum Sachverhalt (Beiziehung eines Kostenvoranschlages; Einholung einer Stellungnahme der Hilfsmittelberatung; Einholung einer Stellungnahme des Lieferanten; Beiziehung von MDK-Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit der Ast) und erließ den Bescheid vom 15. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2007, mit dem sie zwar die Verlängerung der Versorgung mit dem E-Rollstuhl bewilligte, jedoch die Übernahme eines neuen E-Fix ablehnte. Zur Begründung führte die Ag im einzelnen aus, dass die Versorgung mit einem E-Rollstuhl für den Innen- und Außenbereich ausreichend sei. Dass die Ag in der Vergangenheit die Kosten auch für den E-Fix übernommen habe, könne zu keiner anderen Entscheidung führen, da Ansprüche aus früherem - eventuell fehlerhaftem - Verwaltungshandeln nicht hergeleitet werden könnten.
Gegen die ablehnenden Entscheidungen der Ag ging und geht die Ast in prozessual zweierlei Weise vor:
Zum Einen verfolgt sie ihr Begehren vor dem Sozialgericht (SG) Hannover im dortigen Hauptsacheverfahren S 44 KR 589/07 weiter, in dem bislang eine Entscheidung nicht ergangen ist.
Zum Zweiten hat sie unter dem 14. März 2008 - ebenfalls vor dem SG Hannover - den zu diesem Verfahren führenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und zur Begründung im einzelnen geltend gemacht: Der ihr zur Verfügung gestellte E-Rollstuhl könne von ihr aufgrund ihrer Erkrankung nicht problemlos verwendet werden und habe schon zu etlichen Unfällen im Außenbereich sowie zu fehlender Beweglichkeit im Innenbereich geführt. Dem hi...