Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragspsychotherapeut. Sitzverlegung. Entscheidung der Zulassungsgremien muss Ausführungen enthalten, ob Gründe der vertragsärztlichen Versorgung entgegenstehen. sozialgerichtliches Verfahren. Drittanfechtung. einstweilige Anordnung. Interessenabwägung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung der Zulassungsgremien über die Verlegung eines Vertragsarztsitzes muss seit 1.1.2012 immer Ausführungen dazu enthalten, ob der Verlegung Gründe der vertragsärztlichen Versorgung entgegenstehen.
2. Zur Interessenabwägung im Rahmen einer Anordnung des Sofortvollzugs.
Tenor
Auf die Beschwerden der Beigeladenen zu 1. und 2. wird der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 19. März 2015 aufgehoben.
Die sofortige Vollziehung der der Antragstellerin mit Beschluss des Zulassungsausschusses I. vom 13. August 2014 genehmigten Verlegung ihres Vertragsarztsitzes von J. nach K. wird bis zum 30. September 2016 angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 3. bis 9., die diese selbst tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Streitig ist die Anordnung eines Sofortvollzugs.
Die 1973 geborene Antragstellerin (Astin) ist Psychologische Psychotherapeutin und seit dem 1. März 2014 mit hälftigem Versorgungsauftrag in J. zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung (teil-)zugelassen.
Der 1948 geborene Beigeladene zu 1. und die 1951 geborene Beigeladene zu 2. sind ebenfalls in J. als Psychologische Psychotherapeuten tätig und nehmen dort seit 1999 in Berufsausübungsgemeinschaft an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung teil. Sie betreiben außerdem eine Zweigpraxis auf der Insel K..
Kurz nachdem die Astin am 5. Mai 2014 in Norden ihre vertragspsychotherapeutische Tätigkeit im Wege einer Praxisnachfolge gemäß § 103 Abs 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) aufgenommen hatte, beantragte sie mit Wirkung zum 1. Januar 2015 die Verlegung ihres Vertragspsychotherapeutensitzes nach K.. Der Zulassungsausschuss I. genehmigte die Sitzverlegung, weil keine entgegenstehenden Gründe iSv § 24 Abs 7 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) ersichtlich seien (Beschluss vom 13. August 2014). Den hiergegen von den Beigeladenen zu 1. und 2. eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner (Ag) ebenso zurück wie das von der Astin geltend gemachte Begehren, die sofortige Vollziehung der genehmigten Sitzverlegung anzuordnen. Hinsichtlich der Genehmigung seien die Voraussetzungen für die Annahme einer (Dritt-)Anfechtungsberechtigung nicht erfüllt; ferner sei kein besonderes öffentliches Interesse an der Anordnung eines Sofortvollzugs iSv § 97 Abs 4 SGB V zu erkennen (Beschluss vom 21. Januar 2015; zur Post gegeben am 18. März 2015).
Im Anschluss hat die Astin beim Sozialgericht (SG) Hannover beantragt, die sofortige Vollziehung der genehmigten Sitzverlegung anzuordnen. Den von den Beigeladenen zu 1. und 2. dagegen erhobenen Rechtsbehelfen dürfe nicht länger aufschiebende Wirkung zukommen. Zum einen sei die Genehmigung offensichtlich rechtmäßig erteilt worden und kein zugelassener Vertragspsychotherapeut berechtigt, eine Sitzverlegung anzufechten. Zum anderen bestehe ein öffentliches Interesse daran, die Genehmigung für sofort vollziehbar zu erklären; die Astin versorge bereits Patienten auf K..
Das SG hat mit Beschluss vom 19. März 2015 festgestellt, dass dem Widerspruch der Beigeladenen zu 1. und 2. gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses I. vom 13. August 2014 keine aufschiebende Wirkung zukomme. Zwar sei das von der Astin in erster Linie geltend gemachte vorläufige Rechtsschutzbegehren (gerichtet auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung) unzulässig, weil gegenüber einer genehmigten Sitzverlegung offensichtlich keine (Dritt-)Anfechtungsberechtigung bestehe und damit eine entsprechende Anfechtung auch keine aufschiebende Wirkung entfalte. Nach dem Meistbegünstigungsprinzip sei das Begehren der Astin allerdings in einen zulässigen und - wegen der hier fehlenden (Dritt-)Anfechtungsberechtigung - auch begründeten Feststellungsantrag umzudeuten.
Gegen diesen Beschluss (zugestellt am 21. März 2015) wenden sich die Beigeladenen zu 1. und 2. mit ihrer Beschwerde vom 20. April 2015 und machen geltend, dass sie - entgegen der Auffassung des SG Hannover - befugt seien, die der Astin genehmigte Sitzverlegung anzufechten. Die (Dritt-)Anfechtungsberechtigung ergebe sich daraus, dass eine von der Astin erst 2013 für K. begehrte Sonderbedarfszulassung wegen Überversorgung abgelehnt worden sei. Diese Entscheidung versuche die Astin jetzt zu umgehen, indem sie bereits unmittelbar nach der Übernahme eines zuvor ausgeschriebenen Vertragspsychotherapeutensitzes eine Sitzverlegung nach K. beantragt habe, obwohl sie zur Fortführung der übernommenen Praxis in J. verpflichtet sei. Vor diesem Hintergrund sei die Genehmigung der Sitzver...