Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistungen. Anspruchseinschränkung. selbst zu vertretende Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen. fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung. Pflichten der Ausländerbehörde
Orientierungssatz
§ 1a Abs 3 S 1 AsylbLG setzt ein ernsthaftes Bestreben der Ausländerbehörde voraus, den Betroffenen in sein Heimatland zurückzuführen. Die Ausländerbehörde muss den Betroffenen konkret zur Mitwirkung im aufenthaltsrechtlichen Verfahren aufgefordert und gemäß § 82 Abs 3 S 1 AufenthG 2004 auf seine Verpflichtungen nach den §§ 48, 49 AufenthG 2004 hingewiesen haben.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 26. August 2021 wird zurückgewiesen. Die Beschwerde des Antragstellers gegen diese Entscheidung wird als unzulässig verworfen.
Der Antragsgegner hat zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I. Im Streit sind höhere vorläufige Leistungen nach dem AsylbLG ab Mitte Juli 2021, insbesondere die Rechtmäßigkeit einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG.
Der 1992 geborene Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger, reiste im August 2012 nach Deutschland ein und beantragte erfolglos Asyl (Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.4.2016, bestandskräftig seit August 2019). Während des Asylverfahrens dem Kreisgebiet des Antragsgegners (Samtgemeinde F.) zugewiesen, legte er 2017 der Ausländerstelle seinen iranischen Personalausweis (nebst Übersetzung) vor. Als Geduldeter wurde er von der Ausländerstelle im August und September 2019 sowie im Februar 2020 (schriftlich) aufgefordert, seine Identität und Staatsangehörigkeit durch geeignete Dokumente nachzuweisen. Anfang 2020 und im Januar 2021 wurde er zudem zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes aufgefordert. Den Aufforderungen kam der Antragsteller nicht nach.
Nach dem Bezug von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, zuletzt bewilligt durch Bescheid des Antragsgegners vom 12.2.2021 für Februar 2021 in Höhe von 754,00 € (Leistungssätze nach § 3a AsylbLG von 364,00 € sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung von 390,00 €) und Anhörung zu einer Anspruchseinschränkung wegen mangelnder Mitwirkung im ausländerrechtlichen Verfahren bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller durch Bescheid vom 15.2.2021 für März bis August 2021 nur nach § 1a Abs. 3 AsylbLG eingeschränkte Leistungen in monatlicher Höhe von 599,03 € (davon 390,00 € für Unterkunft und Heizung). Über den Antrag vom 28.6.2021 auf Überprüfung dieser Entscheidung ist bislang noch keine Entscheidung ergangen. Die vom Antragsgegner verfügte Ablehnung von Geldleistungen für Unterkunft und Heizung ab September 2021 (Bescheid vom 15.4.2021, angefochten durch Widerspruch vom 28.6.2021) wird jedenfalls bis Februar 2022 nicht umgesetzt (Zusicherung vom 31.8.2021).
Auf den auf vorläufige Leistungen nach § 2 AsylbLG gerichteten Eilantrag des Antragstellers hat das Sozialgericht (SG) Stade den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab Antragstellung am 13.7.2021 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.7.2022, Leistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren und den Antrag im Übrigen abgelehnt (Beschluss vom 26.8.2021). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Tatbestand einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG sei zwar verwirklicht, wegen der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) bestehe aber die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass sie vom BVerfG in einem Vorlageverfahren des LSG oder des BSG verworfen werde und dem Antragsteller aus diesem Grund oder im Wege einer verfassungskonformen Auslegung höhere oder weitere (Sach-)Leistungen zu erbringen seien. Die Gewährung vorläufiger Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG scheide aus, weil der Antragsteller die Aufenthaltsdauer in Deutschland durch die mangelnde Mitwirkung im ausländerrechtlichen Verfahren rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst habe.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Beteiligten vom 26. und 27.9.2021 (Sonntag und Montag).
Der Antragsgegner macht u.a. geltend, eine Durchbrechung der Bestandskraft des Bescheides vom 15.2.2021 sei nicht gerechtfertigt, weil der (vermeintliche) Überprüfungsantrag vom 28.6.2021 nicht unterzeichnet sei, der Prozessbevollmächtigte seine Bevollmächtigung nicht nachgewiesen habe und der Antrag nach Lage der Dinge keine Erfolgsaussichten habe. Nach den zutreffenden Ausführungen des SG habe der Antragsteller das Abschiebehindernis vorsätzlich selbst verursacht. Ob er für eine Beschaffung eines Passes oder Passersatzes eine sog. Freiwilligkeitserklärung abgeben muss, sei nicht feststellbar, weil er sich überhaupt nicht um die Ausstellung dieser Dokumente bemüht habe. Entgegen dem insbesondere im Beschwerdeverfahren geäußerten Standpunkt des Antragstellers stehe seiner Abschiebung auch nicht die Beteiligung in...