Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Grundsicherung für Arbeitssuchende. Einstweilige Anordnung. Vorlage von Kontoauszügen. Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Prüfung der Hilfebedürftigkeit. Behauptung eines Leistungsbetrugs. Grundsicherung für Arbeitsuchende. einstweiliger Rechtsschutz. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Mitwirkungspflicht. Einblick in Kontoauszüge der letzten 12 Monate
Leitsatz (amtlich)
Jedenfalls bei einem wiederholten Antrag auf Zahlung von Alg II genügt die Vorlage aktueller Kontoauszüge, sofern keine Anhaltspunkte für nicht wahrheitsgemäße Angaben der Antragsteller bestehen.
Orientierungssatz
1. Die Versagung von Leistungen nach dem SGB II aufgrund der Weigerung der Antragsteller, Kontoauszüge der letzten 12 Monate vorzulegen, entbehrt der Rechtsgrundlage.
2. Die Prüfung der Kontoauszüge des zurückliegenden Jahreszeitraumes durch die Bundesagentur aufgrund der internen Verfügung über "Maßnahmen zur Senkung passiver Leistungen" als Ausfluss von Zielvereinbarungen zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie der Bundesagentur stellt einen pauschalen Allgemeinverdacht gegenüber Hilfesuchenden dar, die über einen längeren Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beziehen. Die Mitwirkung der Antragsteller ist jedoch auf ihre Leistungserheblichkeit beschränkt, §§ 35, 60 SGB I. Ohne das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für nicht wahrheitsgemäße Angaben von Hilfesuchenden ist das Verlangen, Einsicht in die Kontoauszüge des zurückliegenden Jahres zu nehmen, eine durch § 60 SGB I nicht gedeckte Ermittlungstätigkeit (so auch Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22.08.2005 - L 7 AS 32/05 ER).
Normenkette
SGB II § 38 Abs. 2; SGG § 73 Abs. 2 S. 2, § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4, § 193; SGB I § 60 Abs. 1, § 66
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 6. Juni 2007 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der Einstweiligen Anordnung unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei Unterliegen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 1. Juni 2007 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum 30. November 2007 in Höhe von 1.093,55 Euro monatlich zu zahlen.
Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende -. Streitig ist insbesondere, ob sie verpflichtet sind, der Antragsgegnerin Einblick in die Auszüge ihrer Girokonten der vergangenen 12 Monate zu gewähren.
Die Antragsteller bezogen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts seit 1. Januar 2005, zuletzt aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 29. Januar 2007 in Höhe von 1.093,55 Euro bis 31. Mai 2007. Im April 2007 hat der Antragsteller zu 1 auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden weiteren Antragsteller die Fortzahlung der Leistungen über den 31. Mai 2007 hinaus beantragt und im Antragsformular vom 6. April 2007 angegeben, dass Änderungen in den persönlichen Verhältnissen, bei den Kosten für Unterkunft und Heizung, in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie sonstige leistungsbezogene Änderungen nicht eingetreten seien. Die Antragsgegnerin hat daraufhin einen vierseitigen Fragebogen als Ergänzung zum Fortzahlungsantrag übersandt und gebeten, diesen auszufüllen und mit den entsprechenden Nachweisen bei einer Mitarbeiterin abzugeben. In Nr 11 des Ergänzungsbogens wird nach dem Besitz sonstigen Vermögens im In- und Ausland (zB Girokonten, Barvermögen, Sparbüchern, Wertpapieren, Bausparverträgen, Lebensversicherungen) gefragt sowie Angaben zu Art und Höhe des Vermögens erbeten. Darunter befindet sich die Aufforderung: "Nachweise vorlegen! Fügen Sie die Kontoauszüge der letzten 12 Monate lückenlos bei!" Des Weiteren hat die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass sie den Antrag auf Fortzahlung der Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung versagen werde, sollte diese nicht erfolgen. Der Antragsteller zu 1 teilte ihr im Mai 2007 mit, dass er den Ergänzungsbogen nicht ausfüllen werde, da er die entsprechenden Angaben bereits im vorliegenden Folgeantrag gemacht habe. Des Weiteren lehnte er es ab, Kontoauszüge der vergangenen 12 Monate vorzulegen. Denn er vermisse dafür eine Begründung und verwahre sich gegen einen vagen Verdacht oder nicht nachvollziehbare Vermutungen. Zugleich hat er bei dem Sozialgericht (SG) Braunschweig den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Die Antragsgegnerin hat darauf eine interne Verfügung über "Maßnahmen zur Senkung passiver Leistungen" vorgelegt, mit der eine "kontinuierliche Prüfung der tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Bedarfsgemeinschaften" als Ausfluss von Zielvereinbarungen zwischen dem Bundesmin...