Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Vorverfahren. keine Einbeziehung eines weiteren Bescheides gem § 86 SGG bei einem wegen Verfristung unzulässigen Widerspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 86 SGG dient der Verfahrensökonomie.

2. Die Einbeziehung der materiell-rechtlichen Prüfung eines weiteren Bescheides in ein Widerspruchs- oder Klageverfahren, das bereits wegen Verfristung des Widerspruchs entscheidungsreif ist, widerspricht jeglicher Verfahrens- oder Prozessökonomie. Dementsprechend wird bei einem wegen Verfristung unzulässigen Widerspruch ein nachfolgender Bescheid nicht gem. § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens.

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 29. März 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Klägerinnen und Beschwerdeführerinnen wenden sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Braunschweig vom 29. März 2011, mit dem die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ihr vor dem SG geführtes Klageverfahren S 24 AS 3901/08 abgelehnt worden ist.

Die Klägerinnen stehen bereits langjährig im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2008 bewilligte der Beklagte SGB II-Leistungen in Höhe eines monatlichen Gesamtbetrages von zunächst 983,71 Euro (Bescheid vom 30. November 2007). Später wurden die Leistungsbeträge für Teilzeiträume nachträglich geändert (vgl. im Einzelnen: Bescheide vom 30. April und 12. Juni 2008).

Mit Schreiben vom 23. September 2008 (Eingang beim Beklagten am 1. Oktober 2008) legten die Klägerinnen Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. November 2007 ein. Der Beklagte wies diesen Widerspruch als verfristet und somit unzulässig zurück. Außerdem wurde eine Kostenerstattung für das Vorverfahren abgelehnt und die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes für nicht notwendig erachtet (Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2008).

Der von den Klägerinnen in dem selben Schreiben vom 23. September 2008 gestellte Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 30. November 2007 nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) wurde vom Beklagten in einem gesonderten Verwaltungsverfahren beschieden (vgl. hierzu den vorliegend nicht streitgegenständlichen Bescheid vom 19. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2011).

In dem gegen den Bescheid vom 30. November 2007 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 30. April und 12. Juni 2008 sowie des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2008 vor dem SG geführten Klageverfahren haben die Klägerinnen geltend gemacht, dass für den streitbefangenen Leistungszeitraum unter dem 3. November 2008 ein weiterer Bescheid ergangen sei (teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Mai 2008 - Erstattungsforderung von 623,20 Euro). Dieser sei Gegenstand des Verfahrens geworden, so dass der Widerspruch nicht verfristet sei. Zu der Frage, wann die Bescheide vom 30. November 2007, 30. April und 12. Juni 2008 den Klägerinnen zugegangen seien, sei die zuständige Mitarbeiterin des Beklagten zeugenschaftlich zu vernehmen.

Das SG hat den erst am Tag der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten PKH-Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abgelehnt (Beschluss vom 29. März 2011; zugestellt an die Klägerinnen am 7. April 2011). Es hat zur Begründung auf das in der Hauptsache am 8. Februar 2011 ergangene klagabweisende Urteil verwiesen, wonach die Bescheide vom 30. November 2007, 30. April und 12. Juni 2008 gem. der Zugangsfiktion nach § 37 Abs 2 SGB X als am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gelten. An einem Zugang der Bescheide spätestens am jeweils dritten Tag nach Aufgabe zur Post beständen keine Zweifel, da die Klägerinnen einen abweichenden Geschehensablauf nicht nachvollziehbar dargelegt hätten. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen sei der nach Einlegung des Widerspruchs erlassene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 3. November 2008 nicht gem. § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Verfahrensgegenstand geworden. Diese Vorschrift finde keine Anwendung, weil der ursprünglich eingelegte Widerspruch bereits wegen Verfristung unzulässig gewesen sei. Über den Antrag auf Verurteilung des Beklagten zur Erstattung von 100 % der Kosten des Vorverfahrens sei nicht gesondert zu entscheiden, sondern in der sich auch auf die Kosten des Vorverfahrens erstreckenden Kostenentscheidung des Urteils. Über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sei im Kostenfestsetzungsverfahren durch den Urkundsbeamten zu entscheiden.

Gegen die Ablehnung von PKH richtet sich die am 2. Mai 2011 erhobene und inhaltlich nicht näher begründete Beschwerde der Klägerinnen. Mit dem selben Schriftsatz haben die Klägerinnen Berufung gegen das Urteil vom 29. März 2011 eingelegt (L 11 AS 427/11).

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, jedoch...

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