Rechtskraft: ja
Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. kieferorthopädische Behandlung. kollektiver Zulassungsverzicht. kollektiver Verzicht auf die Zulassung. Sicherstellungsauftrag. Sachleistungsprinzip. freie Arztwahl. Notfall. Privatbehandlung
Leitsatz (amtlich)
1. Hat eine Kieferorthopädin in einem mit anderen Kieferorthopäden abgestimmten Verfahren auf ihre vertragszahnärztliche Zulassung verzichtet (§ 95b Abs. 1 SGB V), so steht dem von dieser Kieferorthopädin behandelten Versicherten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Anordnungsanspruch gegen seine Krankenkasse auf vorläufige Sicherstellung seiner Weiterbehandlung durch diese Kieferorthopädin zu.
2. Der Anspruch des Versicherten nach § 29 Abs. 1 iVm § 95b Abs. 3 SGB V setzt nicht voraus, dass die ihn behandelnde Kieferorthopädin von dem Feststellungsbescheid der Aufsichtsbehörde nach § 95b Abs. 2, § 72a Abs. 1 SGB V erfasst wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Kieferorthopädin ausdrücklich und glaubhaft erklärt hat, sie verzichte auf ihre Zulassung in dem mit anderen Kieferorthopäden abgestimmten Verfahren nach § 95b Abs. 1 SGB V.
Normenkette
SGB V § 29 Abs. 1, §§ 72a, 95b Abs. 1, 3, § 72 Abs. 1 S. 2, § 72a Abs. 1, § 76 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Lüneburg (Beschluss vom 03.06.2005; Aktenzeichen S 16 KR 93/05 ER) |
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 3. Juni 2005 in der Fassung desBeschlusses vom 13. Juli 2005 wird aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird vorläufig bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens verpflichtet, den Antragsteller im Wege der Sachleistung mit einer kieferorthopädischen Behandlung bei Frau Dr. E., nach Maßgabe des am 6. Januar 2004 genehmigten kieferorthopädischen Behandlungsplanes vom 22. Dezember 2003 auf der Grundlage des § 95b Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, (SGB V) in Verbindung mit § 29 SGB V zu versorgen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers aus beiden Rechtszügen.
Tatbestand
I.
Streitig ist die Fortsetzung einer kieferorthopädischen Behandlung durch eine Fachzahnärztin für Kieferorthopädie, die auf ihre Zulassung zur vertragszahnärztlichen Behandlung in einem mit anderen Kieferorthopäden abgestimmten Verfahren verzichtet hat.
Der im August 1993 geborene Antragsteller (im Folgenden: Ast) stellte sich im Jahre 2001 bei der Kieferorthopädin Dr. F. vor, die eine kieferorthopädische Behandlung zwar für erforderlich hielt, aber meinte, der Ast sei zu diesem Zeitpunkt noch für zu jung für die Behandlung. Zwar fand im August 2003 noch ein Beratungstermin bei Frau Dr. F. statt, zu einer Behandlung des Ast kam es jedoch nicht, weil Frau Dr. F. ihre Zulassung zur vertragszahnärztlichen Behandlung zurückgab.
Der Ast stellte sich sodann im Oktober 2003 der Fachärztin für Kieferorthopädie Dr. G. vor. Sie stellte mit Datum vom 22. Dezember 2003 einen Behandlungsplan auf, den die Antragsgegnerin (im Folgenden: Ag) am 6. Januar 2004 genehmigte. Die Behandlung war auf 12 Quartale angesetzt und sollte 3.597,27 EUR kosten. Im März 2004 erfolgte ein Beratungstermin, und am 8. Juni 2004 wurde bei dem Ast eine Multiband-Apparatur im Ober- und Unterkiefer von Frau Dr. G. eingesetzt.
Zum 1. Oktober 2004 verzichtete Frau Dr. G. auf ihre Zulassung zur vertragszahnärztlichen Behandlung. Sie machte ausdrücklich deutlich, dass sie in Abstimmung mit den Fachärzten für Kieferorthopädie handele, für die das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit als zuständige Aufsichtsbehörde mit Bescheid vom 3. Juni 2004 festgestellt habe, dass es sich bei deren Verzicht auf die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Behandlung um ein abgestimmtes Verhalten gehandelt habe.
Im Oktober 2004 wandte sich die Mutter des Ast an die Ag und teilte mit, dass auch Frau Dr. G. zwischenzeitlich auf ihre Zulassung verzichtet habe. Sie – die Mutter des Ag – habe sich vergeblich bemüht, einen Vertragsbehandler für den Ast zu bekommen. Die Ag teilte mit Schreiben vom 2. November 2004 mit, der Ast möge sich weiter um einen Vertragsbehandler bemühen. Falls dies nicht gelinge, bitte sie um erneute Nachricht.
Mit „Widerspruch” vom 31. März 2005 machten die Prozessbevollmächtigten des Ast geltend, ein anderer Vertragsbehandler sei zur Behandlung des Ast nicht bereit. Da der Ast dringend behandelt werden müsse, sei die Ag verpflichtet, die Weiterbehandlung des Ast durch Frau Dr. G. zu ermöglichen.
Seinen Antrag auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 9. Mai 2005 hat der Ast damit begründet, dass seine kieferorthopädische Behandlung dringend fortgesetzt werden müsse. Er beanspruche die Behandlung durch Frau Dr. G., weil diese die Behandlung bereits begonnen habe und trotz ihres Zulassungsverzichts nach den dafür vorgesehenen gesetzlichen Bestimmungen berechtigt sei, zu Lasten der Ag zu behandeln. Eine Entscheidung sei auch deshalb notwendig, weil Frau Dr. G. im Sommer 2005 eine sogenannte Herbstschiene einsetzen müsse. Der A...