Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Europarechtskonformität
Leitsatz (amtlich)
1. Wird eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage seit langer Zeit in der Fachöffentlichkeit diskutiert, so darf ein Gericht diese nicht offen lassen und im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Wege der Folgenabwägung entscheiden.
2. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ist europarechtskonform.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 17. Dezember 2013 aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten der Beteiligten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob dem Antragsteller als arbeitssuchenden Unionsbürger ein Leistungsanspruch gegen den Antragsgegner oder die Beigeladene zusteht.
Der im November 1972 geborene, ledige Antragsteller ist J. Staatsangehöriger und hat in der Zeit vom Mai 2002 bis zum August 2008 im Gebiet der beigeladenen Stadt gelebt. Danach ist er zusammen mit seinem Vater ins Heimatland zurückgekehrt; er macht geltend, dort habe er sich mit seinem Vater zerstritten und sei mittellos gewesen. Nach seinem Vorbringen ist er im Juni 2013 ins Bundesgebiet eingereist und hat sich dort zu seiner Mutter Frau K. L. begeben, die im Gebiet des Beigeladenen seit dem September 2011 eine ca. 52 m² Wohnfläche umfassende 2-Zimmer-Wohnung bewohnt. Die im August 1951 geborene Mutter des Antragstellers erhält ausweislich des Bescheides des Antragsgegners vom 23. August 2013 für den Bewilligungszeitraum vom 1. Oktober 2013 bis zum 31. März 2014 laufende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Höhe von monatlich etwa 655,00 €.
Im Juni 2013 reiste der Antragsteller wieder in das Bundesgebiet ein und meldete sich polizeilich am 21. Juni 2013 unter der Anschrift seiner Mutter an. Später beantragte er am 9. August 2013 beim Antragsgegner die Bewilligung laufender Leistungen nach dem SGB II und legte dazu unter anderem die Übersetzung einer ärztlichen Bescheinigung eines Krankenhauses in M. vom 3. Juli 2013 vor, wonach er dort in der Zeit vom 1. April bis 11. Juni 2013 stationär wegen einer paranoiden Schizophrenie behandelt worden sei. Ergänzend erklärte er unter dem 29. August 2013, dass er in N. obdachlos gewesen sei und niemanden gehabt habe, der ihn hätte unterstützen können. Seine Mutter, die in O. lebe und Leistungsbezieherin sei, sei die einzige Person aus der Verwandtschaft, mit der er Kontakt habe. Außerdem teilte Frau P. Q. mit Schreiben vom 29. August 2013 mit, sie sei die Schwester des Antragstellers, und dieser habe in N. sieben Jahre als Obdachloser gelebt. Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 9. September 2013 den Leistungsantrag des Antragstellers mit der Begründung ab, dass er keinen Anspruch auf Leistungen habe, da sich sein Aufenthaltsrecht allein zum Zwecke der Arbeitssuche ergebe. Dieser Bescheid wurde - soweit ersichtlich - bestandskräftig.
Am 16. September 2013 sprach der Antragsteller bei der Beigeladenen vor und machte geltend, er sei mittellos. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2013 teilte die Beigeladene mit, dass sie ihm keine Leistungen nach dem SGB XII leisten könne und er umgehend einen Leistungsantrag beim Antragsgegner stellen solle. Daraufhin sprach der Antragsteller am 31. Oktober 2013 wieder bei Mitarbeitern des Antragsgegners vor und bestand auf einer Antragstellung. Er füllte dazu den sogenannten Hauptantrag aus und erläuterte nochmals seine psychische Erkrankung und den Umstand, dass er in N. keine anderen Personen habe, die ihn betreuen könnten. Außerdem machte er geltend, der Leistungsausschluss im § 7 Abs. 1 SGB II verstoße gegen das Diskriminierungsverbot des Europarechts; zudem habe er Ansprüche aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner wiederum mit Bescheid vom 7. November 2013 aus der Erwägung ab, dass sich das Aufenthaltsrecht des Antragstellers allein zum Zwecke der Arbeitssuche ergebe, sodass er dem Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II unterfalle. Dagegen legte der Antragsteller am 13. November 2013 Widerspruch ein und kündigte für den Fall der Nichtgewährung von Leistungen die Stellung eines Antrages zur Gewährung vorläufigen Rechtschutzes für den 15. November 2013 an. Später wies der Antragsgegner den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2014 als unbegründet zurück, wogegen der Antragsteller am 26. Februar 2014 Klage zum Sozialgericht Oldenburg erhoben hat (S 42 AS 289/14), über die - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist.
Am 18. November 2013 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Oldenburg vorläufigen Rechtschutz begehrt, das mit Beiladungsbeschluss vom 5. November 2013 die Stadt als örtlichen Sozialhilfeträger beigeladen hat. Mit Beschluss vom 17. Dezember 2013 hat da...