Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Spezialregelungen in Zulassungssachen gehen allgemeinen Regelungen vor. keine Änderung durch SGGÄndG 6. gröbliche Pflichtverletzung bei Verstoß gegen peinlich genaue Leistungsabrechnung und ordnungsgemäße Dokumentation. Zulassungsentziehung als nicht unverhältnismäßige Maßnahme. Festsetzung. Streitwert
Orientierungssatz
1. Das Verfahren vor den Zulassungseinrichtungen, in sogenannten Zulassungssachen wird durch die §§ 96 und 97 SGB 5 geregelt; soweit diese Bestimmungen für die Zulassungs- oder die Berufungsausschüsse von den allgemeinen Verfahrensregelungen abweichende Bestimmungen (hier: § 86a Abs 2 Nr 5 SGG) enthalten, gehen sie als Spezialvorschriften den allgemeinen Regelungen vor.
2. Die Regelungen der §§ 96 Abs 4 und 97 Abs 4 SGB 5 sind mit dem Inkrafttreten des SGGÄndG 6 weder aufgehoben, noch hinfällig geworden.
3. Die Anwendung des § 86b Abs 1 S 1 Nr 1 SGG ist nicht durch Spezialvorschriften für das Verfahren vor den Zulassungseinrichtungen ausgeschlossen.
4. Ein Vertragsarzt hat seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt, wenn er mehrfach und schwerwiegend gegen seine Pflicht zu peinlich genauer Leistungsabrechnung und zu ordnungsgemäßer Dokumentation der von ihm erbrachten vertragsärztlichen Leistungen verstoßen hat.
5.Die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung erweist sich dann nicht als unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten eines Vertragsarztes, wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass er in Zukunft das verlorengegangene Vertrauen wieder zurückgewinnen könnte.
6. Die Festsetzung des Streitwertes bei einem Rechtsstreit über die Entziehung der Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung bemisst sich auf der Grundlage der Einnahmen die der Vertragsarzt voraussichtlich aus seiner Tätigkeit nach Abzug der Praxiskosten in einer Zeit von drei Jahren erzielen könnte (vgl ua LSG Celle-Bremen vom 23.3.2004 - L 3 KA 101/01). Dieser Prognose werden die Einnahmen des betroffenen Arztes in den letzten vier abgerechneten Quartalen vor der die Instanz einleitenden Antragstellung zugrundegelegt.
Tatbestand
Der Antragsteller wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit.
Der Antragsteller ist als Facharzt für Innere Medizin zur vertragsärztlichen Tätigkeit zugelassen worden. Durch Beschluss vom 20. April 2005 entzog ihm der Zulassungsausschuss Aurich die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung und ordnete die sofortige Vollziehung dieses Beschlusses an. Zur Begründung führte der Zulassungsausschuss aus: Gemäß § 95 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei einem Vertragsarzt die Zulassung zu entziehen, wenn dieser seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt habe und er deshalb zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ungeeignet erscheine. Hierzu müsse das Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sowie den Krankenkassen derart gestört sein, dass eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr zumutbar sei. Dieses sei hier der Fall. Der Antragsteller habe Falschabrechnungen gegenüber der KV vorgenommen. Er habe eingestanden, bei vier Patienten tatsächlich nicht erbrachte Leistungen abgerechnet zu haben. In weit über 1.000 Fällen im 1. und 2. Quartal 2004 habe er zudem EBM-Nummern abgerechnet, deren Leistungsinhalt von ihm nicht vollständig erfüllt worden sei. Der Antragsteller sei damit zur Einhaltung und Ausübung der vertragsärztlichen Pflichten ungeeignet. Gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) habe auch der Zulassungsausschuss das Recht, die sofortige Vollziehung der Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung anzuordnen. Die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung sei hier angeordnet worden, weil die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung in Gefahr sei, wenn die festgestellten Abrechnungsmanipulationen sanktionslos blieben.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller am 02. Mai 2005 Widerspruch eingelegt, über den der Antragsgegner - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden hat.
Ebenfalls am 02. Mai 2005 hat der Antragsteller bei dem SG Hannover um vorläufigen Rechtsschutz gegen den Zulassungsausschuss nachgesucht. Zur Begründung hat er vorgetragen: Gemäß § 96 Abs. 4 Satz 2 SGB V habe die Anrufung des Berufungsausschusses gegen die Entscheidungen der Zulassungsausschüsse aufschiebende Wirkung. Gemäß § 97 Abs. 4 SGB V könne der Berufungsausschuss die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung im öffentlichen Interesse anordnen. Neben diesen Bestimmungen sei eine unmittelbare oder analoge Anwendung der §§ 86 a, 86 b SGG ausgeschlossen. Der Zulassungsausschuss habe deshalb kein Recht, auf der Grundlage des § 86 b SGG die sofortige Vollziehung seiner Entscheidungen anzuordnen.
Diesem Vorbringen ist der Antragsgegner - im Verfahren vor dem SG Hannover als Beigeladener zu 1.) - entgegengetreten, und z...