Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. örtliche Zuständigkeit. Zuständigkeitsstreit. mehrere Wohnsitzauflagen. Analogleistung. Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung. Leistungspflicht der Behörde am tatsächlichen Aufenthaltsort. Leistungsumfang. einstweiliger Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
1. Für Asylbewerber enthält § 10a Abs 1 S 1 AsylbLG grundsätzlich eine einheitliche Zuständigkeitsregelung, die sich an der Entscheidung im landesrechtlichen Verteilungsverfahren (§ 50 AsylG - juris: AsylVfG 1992) orientiert. Dies gilt auch für eine mit (erneutem) Einsetzen von Bedürftigkeit gemäß § 60 Abs 1 S 1 AsylG wieder in Kraft tretende Wohnsitzauflage, wenn der Ausländer mittlerweile nicht mehr in dem ihm zugewiesenen Gebiet seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
2. § 11 Abs 2 AsylbLG enthält in den Fällen des Zuwiderhandelns gegen eine ausländerrechtliche räumliche Beschränkung eine Leistungspflicht der Behörde des tatsächlichen Aufenthaltsorts (Fortführung von LSG Celle-Bremen vom 20.2.2014 - L 8 AY 98/13 B ER = ZFSH/SGB 2014/360 = juris RdNr 26).
3. Die Leistungspflicht der Behörde des tatsächlichen Aufenthalts umfasst sämtliche Leistungen der faktischen Bedarfsdeckung (Fortführung von LSG Celle-Bremen vom 20.2.2014 - L 8 AY 98/13 B ER aaO = juris RdNr 27).
Normenkette
AsylbLG § 10a Abs. 1 S. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1, § 9 Abs. 3, §§ 10, 10b, 11 Abs. 2 Sätze 1-2; AsylG § 50 Abs. 4, § 55 Abs. 1 S. 1, § 60 Abs. 1 S. 1, § 63; SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 9; SGB X §§ 104-105; VwVfG § 43 Abs. 2; SGG § 75 Abs. 2, § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4, § 193; ZPO § 920 Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 10.9.2019 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 1.6.2019 bis zum Abschluss des beim Sozialgericht Hannover anhängigen Klageverfahrens (- S 53 AY 49/19 -), längstens jedoch bis zum 31.12.2019, vorläufig Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. SGB XII zu gewähren.
Die Antragsgegnerin und der Beigeladene haben die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge je zur Hälfte zu erstatten.
Gründe
I.
Im Streit ist die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem AsylbLG für die Zeit ab Juni 2019, insbesondere die Zuständigkeit des Leistungsträgers.
Der 1986 geborene Antragsteller ist iranischer Staatangehöriger persischer Volkszugehörigkeit und nach eigenen Angaben nach Konversion bahaischer Religionszugehörigkeit. Er reiste Mitte Oktober 2015 nach Deutschland ein, wurde im Asylverfahren der Aufnahmebehörde des im Beschwerdeverfahren beigeladenen Landkreises zugewiesen (Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 28.1.2016) und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt einer Wohnsitzauflage entsprechend in der Stadt C.. Sein Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes wurde durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 28.3.2017 abgelehnt. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage (- A 11 K4779/17 -) ist noch anhängig.
Seit Mitte Mai 2018 lebt der Antragsteller in der Stadt D., die im Regionsgebiet der Antragsgegnerin liegt und von dieser zur Erfüllung der Aufgaben nach dem AsylbLG herangezogen wurde, in einer Dreizimmerwohnung zur Untermiete (350,00 € bruttowarm je Monat). Mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ging er bis Mitte November 2018 in E. einer Erwerbstätigkeit im Bereich Logistik nach (Vollzeit). Zur Aufnahme der Beschäftigung wurde die für die Stadt C. geltende Wohnsitzauflage mit Zustimmung der Antragsgegnerin Anfang Mai 2018 gestrichen.
Nach arbeitgeberseitiger Kündigung des Arbeitsverhältnisses beantragte der Antragsteller am Ende bei der Stadt Garbsen Sozialhilfe; der Formantrag ging bei der Stadt Mitte Februar 2019 ein. Am 28.11.2019 stellte ihm die Ausländerstelle der Antragsgegnerin eine bis zum 3.4.2019 befristete Bescheinigung über eine Aufenthaltsgestattung mit einer Wohnsitzauflage für die Stadt D. aus. Im Dezember 2018 und Januar 2019 wurde der Antragsteller von der Ausländerstelle unter Hinweis auf die bestehende Zuweisung und die mit Einsetzen von Bedürftigkeit kraft Gesetzes (§ 60 Abs. 1 Satz 1 AsylG) wieder auflebende Wohnsitzauflage aufgefordert, sich bei der Stadt C. anzumelden und an die dortige Ausländerstelle zu wenden. Der Leistungsantrag wurde aus diesem Grund mangels Zuständigkeit (§ 10a AsylbLG) abgelehnt (Bescheid der Stadt Garbsen vom 28.2.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Antragsgegnerin vom 14.5.2019).
Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben (- S 53 AY 49/19 -) und zugleich eine „sofortige Überprüfung“ begehrt. Das SG hat dieses als Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ausgelegte Begehren nach Beiladung der Stadt C. durch Beschluss vom 10.9.2019 mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe die besondere Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund) nicht glaubhaft g...