Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistungen. Grundleistungen. Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung und eine Wohnsitzauflage. Kirchenasyl
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Verstoß gegen eine asyl- oder aufenthaltsrechtliche räumliche Beschränkung ist neben der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde iS des § 11 Abs 2 AsylbLG auch die aufgrund einer Zuweisungs- oder Verteilentscheidung bzw wegen einer Wohnsitzauflage nach § 10a Abs 1 S 1 AsylbLG zuständige Leistungsbehörde nur zu einer eingeschränkten Hilfegewährung verpflichtet, die im Regelfall dem Leistungsumfang des § 11 Abs 2 AsylbLG entspricht (st Rspr des Senats; vgl auch LSG Celle-Bremen vom 20.6.2008 - L 11 AY 47/08 ER = juris RdNr 17 f).
2. Die Leistungspflicht nach § 11 Abs 2 AsylbLG umfasst sämtliche Leistungen der faktischen Bedarfsdeckung, die jedoch in der Regel beschränkt sind auf die Übernahme der notwendigen Reise- sowie dringend erforderlichen Verpflegungskosten, damit der Ausländer den durch die asyl- bzw ausländerrechtliche Beschränkung bestimmten Aufenthaltsort erreichen kann. In atypischen Fällen sind weitergehende Leistungen bis zum Niveau der regulären Leistungen (§§ 3 bzw 2 AsylbLG) zu erbringen (hier verneint für den Aufenthalt im offenen Kirchenasyl).
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 2. Juni 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller befinden sich im Kirchenasyl in Bremen und begehren die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG.
Die 1978 bzw. 1981 geborenen Antragsteller, ein Ehepaar, sind irakische Staatsangehörige. Sie reisten am 7.2.2022 aus Schweden kommend nach Deutschland ein und stellten Asylanträge. Nach eigenen Angaben hatten sie sieben Jahre lang in Schweden gelebt und waren dort nach zwei erfolglosen Asylanträgen ohne staatliche Unterstützung mittellos. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte die Asylanträge mit Bescheid vom 20.5.2022 unter Anordnung der Abschiebung nach Schweden als unzulässig ab (Anwendung der sog. Dublin-III-Verordnung). Ein gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung gerichteter Eilantrag und eine Klage gegen den Bescheid vom 20.5.2022 blieben erfolglos (Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg, Beschluss vom 16.6.2022 - 3 B 165/22 - und Gerichtsbescheid vom 12.7.2022 - 3 A 164/22 -). Der Antragsgegner erteilte den Antragstellern am 27.7.2022 bis zum 26.10.2022 gültige und nicht verlängerte Duldungen gemäß § 60b AufenthG („Für Personen mit ungeklärter Identität“) mit der Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) des Landes Sachsen-Anhalt in Halberstadt (in der sie schon untergebracht waren) und der Beschränkung ihres Aufenthalts auf sein Kreisgebiet. Die ihnen angekündigte Überstellung der Antragsteller nach Schweden (das der Rückführung zugestimmt hatte) am 1.8.2022 scheiterte daran, dass sie sich nicht (mehr) in der ZASt aufhielten.
Mit E-Mail vom 11.11.2022 übersandte der Pastor der G. Kirchengemeinde in Bremen dem Antragsgegner ein Schreiben der Antragsteller vom 8.11.2022, in dem sie mitteilten, sich seit diesem Tag in der Kirchengemeinde im Kirchenasyl zu befinden, und die Weitergewährung von Leistungen nach dem AsylbLG beantragten. Nachdem der Antragsgegner verschiedene Unterlagen angefordert hatte, erläuterte der Pastor unter dem 24.2.2023, die Kirchengemeinde habe den Unterhalt des Ehepaars drei Monate lang in Höhe von 400,- € /mtl. aus Spendenmitteln bestritten. Eine weitere Finanzierung übersteige die Möglichkeiten der Gemeinde. Seit November 2022 erhalte das Ehepaar die monatliche Unterstützung als zinslosen Kredit, mit dessen Rückzahlung fest gerechnet werde. Mit diesem Geld könnten sie nur mit äußerster Sparsamkeit ihren täglichen Bedarf decken. Die Kosten für Unterbringung und Heizung übernehme weiterhin die Kirchengemeinde. Er sei aber der festen Überzeugung, dass ihren Gästen im Kirchenasyl darüber hinaus der reguläre Bedarf an Bekleidung und Lebensmittel durch Leistungen nach dem AsylbLG zu decken sei. Ebenso werde eine Übernahme etwaiger Krankheitskosten erwartet. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 2.5.2023 legten die Antragsteller einen Darlehensvertrag vom 8.11.2022 zu dem vorgetragenen Darlehen vor. Der Antragsgegner versagte die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG mit Bescheid vom 5.5.2023. Wann dieser Bescheid dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller, die am 6.7.2023 Widerspruch eingelegt haben, bekanntgegeben worden ist bzw. als bekanntgegeben gilt, ist zwischen den Beteiligten streitig. Das Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 31.7.2023 als unzulässig, da verfristet, zurück.
Das Sozialgericht (SG) Bremen hat den Eilantrag der Antragsteller vom 10.5.2023 durch Beschluss vom 2.6.2023 abgelehnt. Ein A...