Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistungen. Grundleistungen. Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung und eine Wohnsitzauflage. Kirchenasyl
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Verstoß gegen eine asyl- oder aufenthaltsrechtliche räumliche Beschränkung ist neben der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde iS des § 11 Abs 2 AsylbLG auch die aufgrund einer Zuweisungs- oder Verteilentscheidung bzw wegen einer Wohnsitzauflage nach § 10a Abs 1 S 1 AsylbLG zuständige Leistungsbehörde nur zu einer eingeschränkten Hilfegewährung verpflichtet, die im Regelfall dem Leistungsumfang des § 11 Abs 2 AsylbLG entspricht (st Rspr des Senats; vgl auch LSG Celle-Bremen vom 20.6.2008 - L 11 AY 47/08 ER = juris RdNr 17 f).
2. Die Leistungspflicht nach § 11 Abs 2 AsylbLG umfasst sämtliche Leistungen der faktischen Bedarfsdeckung, die jedoch in der Regel beschränkt sind auf die Übernahme der notwendigen Reise- sowie dringend erforderlichen Verpflegungskosten, damit der Ausländer den durch die asyl- bzw ausländerrechtliche Beschränkung bestimmten Aufenthaltsort erreichen kann. In atypischen Fällen sind weitergehende Leistungen bis zum Niveau der regulären Leistungen (§§ 3 bzw 2 AsylbLG) zu erbringen (hier verneint für den Aufenthalt im offenen Kirchenasyl).
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 30. Juli 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Im Streit ist die vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 6.7.2023 für die Zeit des Kirchenasyls der Antragstellerin.
Die 1989 geborene Antragstellerin ist guineische Staatsangehörige. Nach eigenen Angaben verließ sie 2015 ihr Heimatland, hielt sich dann in Mali, im Senegal und Marokko auf, reiste Anfang 2022 nach Spanien und dann über Frankreich am 25.8.2022 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Am 9.1.2023 wies die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen die Antragstellerin ab dem 19.1.2023 der im Kreisgebiet des Antragsgegners gelegenen Gemeinde F. zu und verpflichtete sie, dort ihren Wohnsitz zu nehmen. Die Antragstellerin war in der Folge obdachlos und wurde in eine Obdachlosenunterkunft in F. eingewiesen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Asylantrag der Antragstellerin mit Bescheid vom 17.1.2023 unter Anordnung der Abschiebung nach Spanien als unzulässig ab (Anwendung der sog. Dublin-III-Verordnung). Ein gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung gerichteter Eilantrag blieb erfolglos (Verwaltungsgericht - VG - Hannover, Beschluss vom 6.3.2023 - 15 B 1648/23). Der Antragsgegner erteilte der Antragstellerin am 7.3.2023 eine bis zum 6.9.2023 gültige Duldung mit der Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Gemeinde F., in der er ihr eine Wohnung in der Obdachlosenunterkunft G. zugewiesen hatte. Am 2.6.2023 teilte das BAMF dem Antragsgegner mit, dass sich die Antragstellerin seit dem 1.6.2023 im Kirchenasyl der Evangelischen Kirchengemeinde Neustadt, Bremen, befindet.
Nachdem der Antragsgegner daraufhin Unterlagen von der Antragstellerin anforderte (Schreiben vom 5.6.2023), teilte sie den Aufenthalt im Kirchenasyl seit dem 1.6.2023 mit. Auf diesem Schreiben vom 12.6.2023, mit dem die Antragstellerin die Weitergewährung von Leistungen beantragte, war handschriftlich von H. I., Mitglied des Kirchenvorstandes der Gemeinde, angemerkt, dass die Antragstellerin bis auf Weiteres keine finanziellen oder Sachmittel von Seiten der Gemeinde erhalte. Mit Bescheid vom 19.6.2023 lehnte der Antragsgegner den Antrag wegen Verstoßes gegen die Wohnsitzauflage ab. Hiergegen erhob die Antragstellerin am 27.6.2023 Widerspruch, der nach derzeitigem Kenntnisstand des Gerichts nicht beschieden ist.
Am 6.7.2023 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Bremen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung gestellt, sie sei mittellos. Sie habe sich von der Kirchengemeinde bestätigen lassen, dass keine Leistungen erbracht und auch Sachleistungen nicht zur Verfügung gestellt werden. Lediglich für die Kosten der Unterkunft einschließlich Strom komme die Kirchengemeine typischerweise auf. Auf gerichtliche Nachfrage, wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreite, hat sie mitgeteilt, darlehensweise 30,00 € wöchentlich zu erhalten, seit sie am 15.6.2023 noch immer keine Leistungen vom Antragsgegner erhalten habe. Hierzu hat sie ein Schreiben des Kirchenvorstandes vorgelegt.
Der Antragsgegner hat eingewandt, eine Leistungserbringung sei wegen Verstoßes gegen die Wohnsitzauflage grundsätzlich ausgeschlossen. Da der Antragstellerin eine Reise von Bremen nach F. zumutbar sein dürfte, seien Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall nicht ersichtlich. Gegen die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zuständige Behörde bestehe bis zur Rückkehr an den Zuweisungsort kein Leistungsanspruch.
Das Sozialgericht (SG) Bremen hat den Eilantrag mit Beschluss vom 30.7.2023 abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch se...