Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. Schockschaden. Pflegemutter als Sekundäropfer. Pflegesohn. Anruf der Eltern kurz nach einer an ihm verübten schweren Gewalttat. Schädigungsfolgen. leichtere psychische Störungen. Nichtfeststellbarkeit einer posttraumatische Belastungsstörung

 

Orientierungssatz

1. Nach der Rechtsprechung des BSG kann als unmittelbare Schädigung auch eine solche angesehen werden, die einen gesundheitlichen Schaden - Schockschaden - aufgrund des Erhalts der Nachricht über einen vorsätzlichen, rechtswidrigen Angriff verursacht hat. Dies setzt voraus, dass die psychischen Auswirkungen einer schweren Gewalttat auf das Sekundäropfer als mit dieser so unmittelbar verbunden betrachtet werden können, dass beide - die Gewalttat und die Auswirkungen auf das Sekundäropfer - eine natürliche Einheit bilden (vgl BSG vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 = BSGE 49, 98 = SozR 3800 § 1 Nr 1).

2. Zu den Schockschäden gehören allerdings solche psychischen Beeinträchtigungen von nahen Familienangehörigen nicht, die aufgrund der veränderten Lebensumstände infolge der Schädigung des Primäropfers eingetreten sind (vgl BSG vom 17.12.1997 - 9 BVg 5/97).

3. Zur Anerkennung von Schädigungsfolgen bei einem Schockschaden.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 18. August 2016 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich. Die Entscheidung über die Berufung konnte deshalb nach erfolgter Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss ergehen.

II. Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Schädigungsfolgen sowie Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von wenigstens 25.

Die 1954 geborene Klägerin ist seit Mai 1984 Pflegemutter des am 2. Dezember 1982 geborenen F. Am 6. Januar 2011 wurde F. Opfer einer Gewalttat, als er als stellvertretender Marktleiter einer Penny-Filiale von G. und H. überfallen und lebensgefährlich verletzt wurde. G. stach dabei mit dem Messer auf F. ein und fügte ihm acht Stiche im Rückenbereich, einen Stich unterhalb des linken Schlüsselbeins sowie eine Verletzung im linken Wangenbereich zu. Die Stiche in den Rücken führte er so heftig aus, dass das Messer jeweils bis zum Heft in den Körper des F. eindrang. F. fiel schließlich zu Boden und schrie um Hilfe. Daraufhin trat G. F. ins Gesicht, H. warf eine Kanne auf F., die dadurch zerbrach. Der schwerverletzte F. stellte sich nun unvermittelt tot, damit die Täter von ihm abließen. H. trat gegen die Schulter des F., um zu sehen, ob dieser noch lebe. Nachdem er sich weiterhin nicht rührte, gingen die Täter davon aus, dass ihr Opfer tot sei. F., der schwer verletzt und stark blutend auf dem Boden des Aufenthaltsraumes zurückblieb, gelang es nach langen mühsamen Versuchen, sein Mobiltelefon hervorzuholen und schließlich seine Eltern anzurufen. Sein Vater konnte seinen Sohn am Telefon bei Bewusstsein halten und parallel die Polizei alarmieren. Dass die Verletzungen nicht zum Tod des F. geführt haben, ist ausschließlich dem Umstand zu verdanken, dass er gerade noch rechtzeitig in der erforderlichen Weise notfallmedizinisch versorgt werden konnte (zum Vorstehenden: Urteil des Landgerichts (LG) Hannover vom 30. Januar 2012, Az.: 31 KLs 12/11). G. wurde wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge, mit besonders schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines weiteren Urteils des Amtsgerichts Nienburg zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Im November 2011 beantragte die Klägerin die Gewährung von Beschädigtenversorgung und machte geltend, als Pflegemutter des F. einen Schockschaden erlitten zu haben. Die gegen ihren Pflegesohn verübte Straftat habe bei ihr massive psychische Schäden ausgelöst. Der Beklagte zog das Strafurteil des LG Hannover, Unterlagen der Techniker Krankenkasse über die Klägerin sowie Informationen der Psychotherapeutin I. sowie des Arztes Dr. J. bei. Darüber hinaus ließ der Beklagte die Klägerin von dem Psychiater K. begutachten. In dem Gutachten vom 28. Januar 2013 führte der Gutachter zusammenfassend aus, bei der Klägerin stünden Durchschlafstörungen und Ängste im Vordergrund. Diese Gesundheitsstörungen seien durch die Gewalttat vom 6. Januar 2011 verursacht worden. Die Schädigungsfolgen seien als „posttraumatische Belastungsstörung“ zu bezeichnen und mit einem GdS von 20 zu bewerten. Darauf gestützt erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 25. März 2013 folgende Schädigungsfolge an: „Posttraumatische Belastungsstörung im Sinne eines Schockschadens infolge einer an dem Pflegesohn am 6. Januar 2011 verübten Gewalttat“; bewertet wurde diese Sch...

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