Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Kosten des Umgangsrechts. Fahrkosten des Kindes. Regelleistung. abweichende Erbringung durch Darlehen. Aufrechnung. verfassungskonforme Auslegung. Einstweiliger Rechtsschutz. Beginn der vorläufigen Leistungen. Umgangskosten im Sozialhilferecht
Leitsatz (amtlich)
1. Durch die Regelleistung des SGB 2 werden grundsätzlich sämtliche laufenden und auch einmaligen Bedarfe abgegolten. Kann ein von den Regelsätzen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, ist § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 heranzuziehen.
2. Fahrkosten sind dem Grunde nach in der Regelleistung des § 20 Abs 1 SGB 2 enthalten. Soweit die Regelleistungen für die zur Wahrnehmung des Umgangsrechts erforderlichen Fahrkosten nicht ausreichen, muss eine zusätzliche Geldleistung nach § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 erbracht werden, da insoweit eine Kostendeckelung aus verfassungsrechtlichen Gründen (vgl BVerfG vom 31.3.1983 - 1 BvL 11/80 = BVerfGE 64, 180) nicht zulässig ist.
3. Bei einer Verpflichtung zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist auf den Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf vorläufigen Rechtschutz bei Gericht abzustellen.
Orientierungssatz
1. Wenn Leistungen nach § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 für längere Zeit - etwa länger als 1 Jahr - zu zahlen sind, hat der Leistungsträger zu prüfen, ob im Wege der Ermessensausübung von einer Aufrechnung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 2 abgesehen werden kann. Hierzu kann im Wege der verfassungskonformen Auslegung unter Berücksichtigung des § 37 Abs 2 SGB 12 und des § 44 SGB 2 Anlass bestehen.
2. Die Vorschrift des § 73 SGB 12 ist keine generelle Auffangnorm für sämtliche Hilfearten. Sie bezieht sich nur auf Hilfesituationen, die in ihrer Typizität nicht zur Hilfe zum Lebensunterhalt gehören. Bei einem erwerbsunfähigen Hilfebedürftigen sind die Kosten des Umgangsrechts daher nicht nach § 73, sondern § 37 SGB 12 zu behandeln.
Tatbestand
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin im Wege des vorläufigen Rechtschutzes die Übernahme von Kosten, die ihm durch die Ausübung seines Umgangsrechts mit den von ihm getrennt lebenden Kindern entstehen.
Der 1964 geborene Antragsteller lebt in K. Er ist Vater von 4 Kindern. Die Kinder C., geboren 1993 und D., geboren 1994, leben bei der Mutter im 160 km entfernten L. Nach dem Beschluss in der Familiensache des Amtsgerichts K. vom 19. Februar 1999 (Az: M.) hat der Antragsteller das Recht, die Kinder C. und D. an jedem 1. und 3. Freitag eines jeden Monats ab 15 Uhr bis zum darauf folgenden Sonntag 17 Uhr sowie jeden Ostermontag, Pfingstmontag und 26. Dezember eines Jahres ab 10.00 bis 19.00 Uhr zu sich zu holen. Nach dem Beschluss holt der Antragsteller die Kinder bei der Mutter ab und bringt die Kinder wieder zurück.
Die Kinder F. und G. H. wohnen in N. (200 km von K. entfernt). Für den Umgang mit diesen Kindern gibt es keine förmliche Regelung. Nach dem Vortrag des Antragstellers werden diese Kinder in einvernehmlicher Absprache mit der Kindesmutter regelmäßig oder nach Bedarf in N. besucht, zirka einmal im Monat. Der Antragsteller und seine Kinder können während dieser Zeit Wohnraum bei seinen Eltern nehmen.
Der Antragsteller bezieht seit Januar 2005 Arbeitslosengeld II (Alg II) von der Antragsgegnerin (Regelsatz 345,00 €, Unterkunftsbedarf 380,84 €, Gesamtanspruch 725,84 €). Mit Antrag vom 17. Januar 2005 begehrte der Antragsteller die Übernahme der ihm entstehenden Umgangskosten (anteiliges Sozialgeld für die Kinder und die ihm entstehenden Fahrkosten). Dieses Begehren wurde mit Bescheid vom 27. Januar 2005 abgelehnt, weil die Fahrkosten in der monatlichen Regelleistung enthalten seien und der Antragsteller für seine Kinder keinen Anspruch auf Sozialgeld habe. Der dagegen eingelegte Widerspruch ist, soweit ersichtlich, bislang nicht beschieden worden.
Der Antragsteller hat am 27. Januar 2005 beim Sozialgericht (SG) Hannover um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht (S 52 SO 37/05 ER). Mit Beschluss vom 3. Februar 2005 hat das SG das Verfahren abgetrennt, soweit das Begehren des Antragstellers auf weitere Leistungen (Alg II) gerichtet ist, weil dafür eine andere Kammer des Gerichts zuständig sei.
In dem Verfahren S 52 SO 37/05 ER hat das SG die Antragsgegnerin (die O. als Sozialhilfeträger) im Wege des vorläufigen Rechtschutzes verpflichtet, dem Antragsteller seine durch Ausübung des im Beschluss des Amtsgerichts K. vom 19. Februar 1999 beschriebenen Umgangsrechts entstehenden Fahrkosten (nicht die seiner Kinder) vorläufig zu gewähren und im übrigen den Antrag abgelehnt. Das SG hat seine Entscheidung auf § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) gestützt. Dagegen hat die Region Hannover Beschwerde eingelegt (L 8 SO 11/05 ER).
In dem abgetrennten Rechtsstreit (S 47 AS 23/05 ER) hat das SG den Antrag mit Beschluss vom 10. März 2005 abgelehnt, weil dem Antragsteller durch den Beschluss im Verfahren S 52 SO 37/05 ER das zugesprochen worden sei, was ihm zuste...