Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente. Ermessensausübung. keine Unbilligkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Keine Voraussetzung für die Verpflichtung des Leistungsberechtigten zur Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente ist, dass Vermittlungsbemühungen nachweisbar fehlgeschlagen sind oder eine Vermittlung nachweisbar nicht erforderlich gewesen ist.
2. Die bei der Aufforderung zur Antragstellung vom Leistungsträger zu treffende Ermessensentscheidung ist in dem Sinne vorgezeichnet, dass im Regelfall die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente verlangt werden muss (intendiertes Ermessen).
3. Vermeintlich unzureichende Vermittlungsbemühungen des Trägers in der Vergangenheit begründen dabei ebenso wenig einen atypischen Fall wie ein unterhalb des ansonsten zustehenden Arbeitslosengeldes II liegender Zahlbetrag der Altersrente oder - im Hinblick auf ungünstigere Anrechnungsvorschriften nach dem SGB 12 - die Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung.
Normenkette
SGB II § 5 Abs. 3 S. 1, § 12a Sätze 1, 2 Nr. 1, § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2a, 3, § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 4-6, §§ 9, 11, 11b Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Sätze 1, 2 Nr. 1, § 12 Abs. 2, § 3 S. 1 Nr. 6, § 13 Abs. 2, § 65 Abs. 4; UnbilligkeitsV § 4 S. 1; SGB VI § 35; SGB XII § 82 Abs. 3 S. 1, § 90 Abs. 2-3; SGB X § 31; SGG § 86 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 30. März 2015, mit dem ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen eine Aufforderung des Antragsgegners zur Stellung eines Altersrentenantrags abgelehnt worden ist.
Die am 30. September 1952 geborene, alleinstehende Antragstellerin steht seit 2005 - unterbrochen durch eine in der Zeit vom 15. Januar bis 30. September 2010 ausgeübte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Logopädin - im laufenden Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Sie steht in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis, aus dem sie nach den vorliegenden Einkommensbescheinigungen ein (anrechnungsfreies) monatliches Einkommen in Höhe von 100,00 € erzielt. Der Antragsgegner bewilligte ihr zuletzt mit Bescheid vom 16. März 2015 für den Bewilligungszeitraum vom 1. April bis 30. September 2015 monatliche Leistungen in Höhe von 791,78 € (399 € Regelbedarf, 9,18 € Mehrbedarf für dezentrale Warmwassererzeugung, 383,60 € Bedarfe für Unterkunft und Heizung), wobei die tatsächlichen Aufwendungen der Antragstellerin für Unterkunft und Heizung in voller Höhe anerkannt wurden.
Nach einer Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung H. vom 2. Dezember 2014 besteht für die Antragstellerin die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente für langjährig Versicherte ab dem 1. Oktober 2015, welche mit einer Minderung der Rente um 9 % verbunden wäre. Die Regelaltersrente, die ab dem 1. April 2018 beansprucht werden kann, würde 844,01 € monatlich betragen, wenn der Berechnung ausschließlich die zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten sowie der seinerzeit maßgebende aktuelle Rentenwert zugrunde gelegt werden. Ferner hat die Antragstellerin eine VBL-Rente sowie eine Betriebsrente zu erwarten, deren ungekürzte Zahlbeträge sich ausweislich im Widerspruchsverfahren vorgelegter Unterlagen auf voraussichtlich 55,08 € bzw. 23,20 € belaufen. Die Betriebsrente vermindert sich bei einem Rentenbeginn zum 1. Oktober 2015 auf 21,11 €.
Mit Bescheid vom 30. Januar 2015 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, bis zum 16. Februar 2015 einen Rentenantrag bei der Deutschen Rentenversicherung zu stellen. Zur Begründung führte er aus, dass die Antragstellerin nach § 12 a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zur Antragstellung verpflichtet sei, da der Anspruch auf die geminderte Altersrente den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II verringern oder ganz ausschließen könne. In Abwägung der Interessen der Antragstellerin mit dem Interesse an wirtschaftlicher und sparsamer Verwendung von Leistungen nach dem SGB II sei der Antragstellerin die Beantragung der vorrangigen Leistung zumutbar, da ihre Hilfebedürftigkeit beseitigt bzw. verringert würde. Bei der Ermessensentscheidung seien die Voraussetzungen der Unbilligkeitsverordnung (gemeint: Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente [Unbilligkeitsverordnung - UnbilligkeitsV] vom 14.04.2008 - BGBl. I S. 734) geprüft worden, welche indes im Falle der Antragstellerin nicht vorlägen. Unter diesen Umständen könne auch unter Berücksichtigung der damit verbundenen finanziellen Einbuße auf die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente nicht verzichtet werden. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Antrag...