Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Mutter bzw Vater-Kind-Maßnahme. Nichtanwendung des Grundsatzes "ambulant vor stationär"
Orientierungssatz
Bei Mutter bzw Vater-Kind-Maßnahmen nach § 24 SGB 5 findet die für Rehabilitationsleistungen ansonsten geltende Grundregel, wonach ambulante Leistungen den stationären vorgehen, auch unter Berücksichtigung der eindeutigen Gesetzesbegründung im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.3.2007 - GKV-WSG = BGBl I 2007, 378 keine Anwendung.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. Dezember 2011 wird aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Kosten der Antragsteller nach § 24 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für die Mutter-Kind-Maßnahme in der Mutter-Vater-Kind-Klinik, in W vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens aus beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
I.
Die einstweilige Anordnung betrifft Leistungen der Antragsteller nach § 24 SGB V.
Die Antragsteller befanden sich bereits in der Zeit vom 21. Juli bis 11. August 2009 in der Einrichtung in W. Im Kurbericht vom 11. August 2009 unter der Rubrik Vorgeschichte/psychosoziale Belastungen wurde wie folgt ausgeführt:
“Frau J. hat sich vor kurzer Zeit von ihrem Ehemann getrennt. Sie ist Hausfrau und hat zwei Kinder. Es besteht eine Unsicherheit im Umgang mit den Kindern, da sie sehr unter der Trennung der Eltern leiden. Zusätzlich versorgt Frau J. auch noch ihre behinderte Mutter.„
Im Kurverlauf und Ergebnis heißt es wie folgt:
"Insgesamt guter Kurverlauf mit Eintritt von Erholung und Besserung der Beschwerden in der Lendenwirbelsäule. Die stützenden Gespräche bei der Psychologin seien hilfreich gewesen. Ruhiger Umgang mit den Kindern, kurzfristig drohende Destabilisierung bei fieberhafter Tonsillitis des Sohnes."
Im April 2011 beantragte die Antragstellerin zu 1) für sich und ihre beiden Kinder erneut eine Maßnahme der stationären medizinischen Prävention/Rehabilitation. Die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin K. verordnete am 4. März 2011 eine stationäre Mutter-Kind-Kur. Als verordnungsrelevante Diagnosen führte sie bei dem am 2. Juli 2008 geborenen Antragsteller zu 3) eine Ein- und Durchschlafstörung, rezidivierende Infekte sowie die psychosoziale Belastung innerhalb der Familie an. Das angestrebte Präventions-/Rehabilitationsziel wurde wie folgt definiert: “Emotionale Stabilisierung der Familie„. Unter der Rubrik Risikofaktoren und resultierende Befindlichkeitsstörungen führte sie an: “Alleinerziehende Mutter, fraglicher sexueller Missbrauch der Schwester durch den Vater. Für die Antragstellerin zu 2), die am 1. April 2006 geboren ist, führte die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin K. folgende Diagnosen an:
“Verdacht auf Anpassungsstörungen mit emotionaler Beeinträchtigung nach oppositionellem Verhalten, psychosoziale Belastung innerhalb der Familie, nicht organische Enuresis (nach ICD-10 GM Version 2012): Diese Störung ist charakterisiert durch unwillkürlichen Harnabgang am Tag und in der Nacht, untypisch für das Entwicklungsalter. Sie ist nicht Folge einer mangelnden Blasenkontrolle aufgrund einer neurologischen Krankheit, epileptische Anfälle oder einer strukturellen Anomalie der ableitenden Harnwege. Die Enuresis kann von Geburt an bestehen oder nach einer Periode bereits erworbener Blasenkontrolle aufgetreten sein. Die Enuresis kann von einer schweren emotionalen oder Verhaltensstörung begleitet werden.„
Unter der Rubrik angestrebtes Präventions-/Rehabilitationsziel heißt es: “Emotionale Stabilisierung/Fortführung der Psychotherapie„. Unter der Rubrik Risikofaktoren und resultierende Befindlichkeitsstörungen wurde ausgeführt: “Verdacht auf sexuellen Missbrauch„.
Die Verordnung einer stationären Mutter-Kind-Kur für die Antragstellerin zu 1) hat am 21. März 2011 der Arzt für Innere Medizin Dr. L. ausgestellt. Unter der Rubrik verordnungsrelevanten Diagnosen heißt es wie folgt: "Depression, rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom, Schlafstörung, Kopfschmerzen„. Unter der Rubrik Schädigungen/Funktionsstörungen/Strukturschaden sind Rückenschmerzen und eine psychovegetative Erschöpfung angeführt. Unter der Rubrik angestrebtes Präventions-/Rehabilitationsziel heißt es: “Beziehung zu den Kindern stärken und Mobilisation bei Erschöpfung, Leistungssteigerung„".
Mit Bescheid vom 8. April 2011 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die letzte Kurmaßnahme am 11. August 2009 geendet habe. Die Vier-Jahres-Frist sei daher noch nicht abgelaufen.
Auf den Widerspruch der Antragstellerin holte die Antragsgegnerin die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 1. Juni 2011 (erstellt durch Dr. M.) ein. Darin wurden die beantragten Leistungen nicht empfohlen. Eine Mutter-Kind-Kur sei bei manifester Depression nicht zielführend. Darüber hinaus sei eine vorzeitige Maßnahme nicht notwendig. Es seien vielmehr Leis...